Fundstücke aus der Gender-Blogosphäre

2. Juni 2010 um 01:34 13 Kommentare

Die Mädchenmannschaft macht mit ihrer Rubrik „neues aus den Blogs“ anhand der deutschsprachigen feministischen Blogosphäre vor, wie Vernetzung funktionieren kann – ein Thema, das in der deutschsprachige Biblioblogosphäre schon seit mehreren Wochen diskutiert wird.

Oft wichtiger (und anstrengender) als Diskutieren ist jedoch Machen – das versucht die „2.0-Szene“, zu der ich irgendwie dazugehöre – den „Offlinern“ schon seit Jahren beizubringen. Peter Kruse stellte in einem vielbeachten Vortrag im April auf der re:publica jedoch fest, dass die Trennung zwischen Onlinern und Offlinern irreführend ist. Stattdessen geht es um verschiedene Werte und Netzwerke (aber schaut euch den Vortrag lieber selber an).

Eine andere, tatsächlich auf Wertevorstellungen beruhende, Trennung ist die zwischen Geschlechtern: und zwar das „soziale oder psychologische Geschlecht einer Person“ (gender). Dem Artikel über Bloggen und Gender von FxNeumann gestern entnehme ich eine mögliche Erklärung, warum es zwar mehr bloggende Frauen gibt, diese aber weniger wahrgenommen werden. Wie Dorothee Markert beschreibt, unterscheidet die italienische Journalistin Marina Terragnis zwischen „primärer Politik“ und „sekundärer Politik“: Primäre Politik bedeutet, etwas konkretes für das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft zu tun, und Sekundäre Politik bedeutet, darüber zu reden wie die Gesellschaft funktionieren sollte. Die sekundäre Politik ist jedoch das was gemeinhin als Politik verstanden wird: Menschen (vor allem Männer) sagen wie es laufen sollte und versuchen an Machtpositionen zu kommen, damit sie dann irgendwann mal etwas bewirken können. Möglicherweise bewirken viele Frauen lieber direkt etwas, oder platt ausgedrück: Männer laber rum – Frauen machen einfach.

Dieser Spruch ist natürlich quatsch, aber – um es mit Antje Schrupp auszudrücken, auf deren Beitrag ich eigentlich hinauswollte: Das Gegenteil ist genauso falsch! Klischees über Frauen und Männer sind zwar unterhaltsam aber eben Klischees, die sich jeder/jede so biegt wie sie ihm/ihr am besten passen. Dabei biegen Menschen ihre Klischees jedoch nicht selber sondern sie werden gebogen – von der Gesellschaft. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie findet sich zum Beispiel bei Focault und Adorno (auf die ich lieber ständig verweise statt sie selber zu lesen. Kann mir jemand eine bekannte Frau nennen, die ich stattdessen verwenden kann? Solange Frauen weniger klar als [intellektuelle] Autoritäten anerkann werden, ist das schwierig).

Der Gender-Szene ist jedenfalls zu verdanken, die Konstruiertheit von Rollenbildern wie Männlich und Weiblich aufzuzeigen. Das klingt jetzt sicher völlig unverständlich, also lest euch Antje Schrupps 15 Thesen zu Feminismus und Post-Gender durch. Hier die erste und die letzte These:

1. Der wichtigste Punkt rund um das Thema „Gender“ hat nichts mit Frauen zu tun, sondern ist die Kritik an der Sich-zur-Normsetzung des Männlichen. Frauen kommen allerdings insofern ins Spiel, als Feministinnen die ersten waren, die dieses Sich-zur-Norm-Setzen des Männlichen hinterfragt haben.

15. Diese Praxis ist aber nicht auf Frauen beschränkt. Auch Männer und alle anderen Geschlechter können – und sollten – sich daran beteiligen. Denn es geht nicht um Lobbyarbeit für Fraueninteressen, sondern um eine Welt, in der gutes Leben für alle Menschen möglich ist.

Als Individualanarchist interessiert mich das Thema Gender vor allem in Bezug auf den Freiheitsbegriff. Schrupp schreibt:

8. Eine freiheitliche Politik besteht nicht in der Behauptung einer (immer nur abstrakt denkbaren) Gleichheit der Menschen, sondern in kreativen und dem jeweiligen Kontext angemessenen Wegen, mit der (real vorhandenen) Ungleichheit der Menschen umzugehen, ohne dass daraus Herrschaft entsteht.

Hier liegt der Hund die Katze der Hase in der Pfanne auf dem Dach im Pfeffer begraben: Es reicht nicht aus, einfach zu behaupten, das Geschlecht spiele keine Rolle, weil wir alle Gleich sind (siehe Piratenpartei) oder der Staat solle sich aus allem heraushalten, weil wir ja alle selber entscheiden können auf was wir uns einlassen (siehe FDP). Wer danach handelt, handelt reaktionär und arbeitet für die Seite der Herrschenden. Denn wie Anatole France schreibt:

Das Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.

Damit komme ich auch zum letzten Punkt dieses Artikels: Heute ist Internationaler Hurentag! Statt aus diesem Anlass die eigenen Vorurteile (Gesellschaft!) gegenüber Sexarbeitern von sich zu geben oder zu fordern, dass dringend etwas getan werden müsse (sekundäre Politik) ist dieser Tag vielleicht mal ein Anlass, sich mit der konkreten Lebenssituation von Huren auseinanderzusetzen. Kompetente Ansprechpartner dafür sind Selbsthilfeorganisationen wie Hydra e.V. in Berlin, Madonna e.V. in Bochum und Doña Carmen e.V. in FFM.

Gute Laune behalten in der Finanzkrise

9. Oktober 2008 um 10:18 3 Kommentare

Bislang versuche ich noch das Positive an der aktuellen Finanzkrise zu sehen. So ist beispielsweise Urlaub in Island endlich bezahlbar:

Kurs der Isländischen Krone

Kurs der Isländischen Krone

Leider ist es auf der schönen grünen Vulkaninsel voller Musiker um diese Jahreszeit nicht mehr ganz so gemütlich, weshalb ich mich nach anderen aufmunternden Folgen der aktuellen Finanzkrise umgesehen habe. Wenn ich schon die ganzen Hilfen für den ach so überlegenen Kapitalismus mittragen muss., möchte ich dafür wenigstens etwas zum Lachen haben. Danilo Vetter kommt mit der am Dienstag in seinem Blog begonnen Serie „Soundtrack zur Finanzkrise“ da gerade recht.

Besonders gefallen hat mir der Hinweis auf den ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Kurzfilm „Wie funktioniert Geld?“ (Teil 1, Teil 2, Teil 3) den Maximilian Block 2005 im Rahmen seiner Diplomarbeit erstellt hat. Man sollte sich nicht davon verwirren lassen, dass der Film als Satire daherkommt, denn die grundlegenden Prinzipien von Geld, Banken, Zins und Inflation/Deflation werden gut dargestellt.

Problematisch ist lediglich, dass der Eindruck entstehen könnte, das Finanzsystem basierte auf einer Verschwörung („Alien“). Der Fehlschluß zum antisemitischen Quark von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital, den die antikapitalistische Rechte vertritt ist da nicht weit (einer der letzten Verweise auf den Film stammt von dem Menschenfeinden des NPD-Regionalverband Böblingen, Stuttgart, Ludwigsburg). Nein, den Crash haben wir uns mit unserer Geiz-ist-geil-Mentalität schon selber eingebrockt und wenn der Ex-Hypo Real Estate-Vorstand im November 2007 sagte, dass seine Bank „gestärkt aus der Krise“ hervorginge, dann trifft das zwar nicht auf seine Bank aber eben doch auf das System zu; denn Gewinne machen möchte jeder gerne, vom Banker bis zum Arbeiter.

Es wird also wohl noch einige Krisenzyklen dauern bis zum letzten Gefecht. Die GEMA-Rechte der Internationalen lagen (liegen?) übrigens lange bei dem Volksmusik-Magnaten Hans Rudolf Beierlein; aber das mit den immateriellen Monopolrechten und wie die Allmende privatisiert wird, um weiter Gewinne und abhängige Lohnarbeit zu steigern, ist ein anderes Thema.

P.S: Wieso ist es eigentlich derzeit so ruhig um die ehemalige (?) Attac-Forderung nach Einführung einer Steuer auf internationale Devisengeschäfte o.Ä.? Attac mag zwar etwas naiv und uneinheitlich sein, aber immerhin werden auch normale Menschen angesprochen, die bei Hinweisen auf Kritische und andere Theorien verständlicherweise lieber abwinken.

Gute Nachrichten zum Tag der Pressefreiheit

3. Mai 2008 um 03:35 Keine Kommentare
Telefonabhöranlage des MfS

Zum Tag der Pressefreiheit hat sogar die USA einen seit 6 Jahren ohne Anklage gefangenen Kameramann freilassen. In Deutschland wird mit dem BKA-Gesetz (Entwurf bei Netzpolitik) darauf hingearbeitet, dass bei uns allen zu Hause besser „investigativ recherchiert“ werden kann. Italien geht in Sachen Informationsfreiheit mit gutem Beispiel voran, indem mal kurz die Einkommensteuer 2005 aller Italiener online gestellt wird. Und im Kleinen gedeiht der Bürgerjournalismus (bitte mehr davon!). Na wenn das kein Tag zum Feiern ist 😉

Freiheit statt Vollbeschäftigung

1. Mai 2008 um 03:49 2 Kommentare

Als Kind habe ich mich immer gewundert, dass am Tag der Arbeit nicht gearbeitet wird – müsste es nicht eher „Tag der Freizeit“ heissen? Inzwischen denke ich dass Paradox lässt sich besser anders auflösen: In Zukunft wird am Tag der Arbeit gearbeitet und dafür ist an den meisten anderen Tagen frei. Dank fortschreitender Automatisierung können nämlich immer mehr Bedürfnisse für immer mehr Menschen mit immer weniger Arbeit befriedigt werden. Ein viel größeres Paradox ist angesichts des andauernden Zuwachses an Produktivität, dass die Mehrheit noch immer den Götzen Lohnarbeit anbetet und von Vollbeschäftigung fabuliert.

Die Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung hat dieses Paradox erkannt und fordert (begleitet von durchdachten Begründungen und Erklärungen) ein Bedingungsloses Grundeinkommen – wer sich jetzt mit einem „das kann doch gar nicht funktioneren!“ abwendet, meint wahrscheinlich auch dass man gegen Hunger und Armut „nun mal nichts machen kann“. Ich weiß nicht, ob ich noch erleben werde, dass irgendwann alle Menschen – ohne Arbeiten zu müssen – mit Nahrung, Kleidung, Wohnung etc. versorgt werden, aber am Tag der Arbeit sollte soviel Utopie schon sein.

Eine andere Welt ist möglich!

Länder, die es gar nicht gibt

16. März 2008 um 00:07 Keine Kommentare

Jetzt weiß ich endlich, was das für eine Fahne war, die letzte Woche in Göttingen vor dem Rathaus (sic!) hing, es muss am Montag zum Jahrestag des Volksaufstandes in Lhasa gewesen sein. Am 21. März wurde der Aufstand damals blutig niedergeschlagen – momentan sieht es eher so aus, als ob sich das wiederholen könnte. Laut tagesthemen und Spiegel Online sollen sich die Demonstraten bis Dienstag selber bei der Polizei melden, dann werden sie wahrscheinlich ein bischen weniger gefoltert als jene, die erst später durch die Film- und Fotoaufnahmen identifiziert werden.




Am 22. März diesen Jahres sind in Taiwan Präsidentschaftswahlen und gleichzeitig wird ein Referendum darüber abgehalten, ob das faktisch seit Jahrzehnten unabhängige und seit 1987 demokratische Land sich zukünftig als „Taiwan“ statt als „Republik China“ um Aufnahme in die Vereinten Nationen bemühen soll. Der Antrag wird aber sowieso immer abgelehnt, da es niemand mit China verscherzen möchte. Weil die Deutsche Regierung beim Ablehnen immer brav mitmacht und auch in ihrer Tibet-Politik eher der Wirtschaft vor den Menschenrechten Priorität einräumt, gab es diesen Januar ein Lob aus Peking. Man muss jedoch zugeben, dass in Taiwan die Frage der Unabhängigkeit vor allem innenpolitisch mißbraucht wird. Wie es aussieht wird bei der Wahl die Opposition gewinnen, die inzwischen zu einem Boycott des Referendums aufruft. Mit Taiwans Unabhängigkeit hat das weniger zu tun als damit, dass der jetzige Präsident in den größeren Korruptionsskandal verwickelt ist als die Opposition. Eine Beschreibung der Taiwanesischen Verhältnisse (und das was die Taiwanesen tatsächlich interessiert) gibt es im Blog von Rüdiger Teichert.

Ähnlich wie Taiwan wird es dem Kosovo ergehen, eine genaugenommen völkerrechtswidrig von Serbien abgespaltene Region, die momentan ein eigener Staat wird, aber keinen Sitz bei den Vereinten Nationen bekommt und nur von einigen anerkannt wird. Im Gegensatz zu Taiwan ist die EU hier offener, schließlich wandert die Aufbauhilfe für den Kosovo wieder über Aufträge an Europäische Firmen, während Serbien sich lieber von Russland kaufen lässt.

Von Tibetern und Taiwanesen in Göttingen weiß ich nichts, habe dafür aber auf der Suche nach Göttinger Weblogs grade den Blog der Nepalesen in Göttinger entdeckt – das Land wird im Gegensatz zu Tibet, Taiwan und Kosovo von allen anderen Staaten anerkannt obgleich es auch kein Musterknabe ist. Was schließlich alle hier genannten vereinigt (selbst Göttingen) ist die Korruption, weshalb ich mein Geld auch lieber Transparency International spende als irgendwelchen letzendlich nationalistischen Freiheitsbewegungen. Der letzte Eintrag der Presseschau von TI verweist übrigens auf einen Artikel zum Korruption im Sport – womit sich der Kreis die fünf Ringe schließen.

Von der Öko-FDP und warum die Rente sicher ist

10. März 2008 um 03:01 1 Kommentar

Nachdem sich die Grauen Panther auflösen, ist eigentlich als nächstes die Partei der Besserverdienenden an der Reihe. Gegen die Hälfte der eigenen Wählerschaft wird wegen Steuerhinterziehung ermittelt und es gibt inzwischen genügend andere Kleinparteien (Grüne, Linke, SPD). Vielleicht kommt ohne FDP auch mal wieder jemand auf die Idee, dass Liberalismus etwas mit Bürgerrechten zu tun hat anstatt mit dem neoliberalen Rückbaus der Sozialsysteme. Nun fürchten sich die Grünen aufgrund der Schwarz-Grünen Koalition in Hamburg als „Öko-FDP“ erkannt zu werden – dabei reicht dafür doch ein Blick in ihr Parteiprogramm und die Sozialpolitik der rot-grünen Koalition, die sich treffend mit „Hartz IV“ zusammenfassen lässt. Selbst für die Gleichstellung von Mann und Frau hat die CDU mit der Elternzeit (das Einstellungshindernis „Schwangerschaftsrisiko“ gilt jetzt auch für Männer) mehr getan als die Grünen in ihrer gesamten Regierungszeit. Engültig überzeugt, dass die Grünen die neue FDP sind, hat mich die Entdeckung ihrer Position zur Altersvorsorge. Eine Suche auf der Seite der Partei mit der angeknabberten Sonnenblume zum Thema „Rente“ liefert wenig mehr als das Wahlprogramm für die Legislatur 2005-2009, wo es auf Seite 39f. heißt:

Der demografische Wandel verlangt auch einen weiteren Umbau der Rentensysteme. Weniger erwerbstätige Menschen müssen mehr Nichterwerbstätige mitfinanzieren. […] Die gesetzliche Rente wird sich stärker zu einer Basisabsicherung entwickeln. Deshalb werden wir ergänzende private Vorsorge in unterschiedlichen Formen weiter fördern.

Damit plappern die Grünen nach, was von Lobbyorganisationen der Versicherungswirtschaft wie dem Deutschen Institut für Altersvorsorge seit Jahren zur Demontage des Rentensystems wiederholt wird. Während seit Beginn der Industrialisierung dank steigender Produktivität mit immer weniger Arbeit immer mehr Menschen versorgt werden können, soll damit plötzlich Schluss sein. Also wird erstmal der Generationenvertrag gekündigt.

Da die Rente nun nicht mehr ausreicht wird kurz ebenso scheinheilig wie medienwirksam bedauert, dass die staatliche Rente nicht mehr ausreicht und schwupps einen bunten Strauß von privaten Zusatzversicherungen aus dem Zauberhut geholt – haben Rürup, Riester und all die anderen Lobbyisten der Versicherungsbranche schon mal vorbereitet. Die Bürger (bzw. die es sich leisten können!) nehmen das gerne an und merken dank medialer Verblödung nicht, dass sie damit lediglich vorsorgen für die Beteiligten in den Finanzinstituten und „unabhängigen“ Instituten von denen mit Werbekampagnen und Gutachten die Vorteile privater Altersvorsorge gepriesen werden.

Dass auch Privatvorsorge Geld kostet und die Rentenversicherung unterm Strich teurer macht, ist wohl zu simpel. Statt nach dem Solidarprinzip das Geld den Alten zu geben, damit man später ebenso von den dann Jungen versorgt wird, gibt der Michel sein Geld lieber einem Versicherungskonzern. Der gibt es an einen Hedgefont weiter – und plötzlich werden Arbeitsplätze gestrichen oder das Eigenheim zwangsversteigert – na sowas. Die private Altersvorsorge ist dann gleich mit futsch, denn anders als bei der staatlichen Rente wird bei Arbeitslosigkeit nicht weiter eingezahlt sondern es muss unter Verlusten der Vertrag gekündigt werden.

Kein Wunder, dass sich die Partei der Demagogen und Allesversprecher etabliert. Im Gegensatz zu andere(n/m) vertreten die Linken beim Thema Rente ganz vernünftige Positionen.

Zum Abschluss noch was Aufheiterndes: Was ist der Unterschied zwischen einer Wahl in einem autoritären Regimen und einer Wahl bei uns? In einem autoritären Regime gibt es genau eine richtige Stelle, um sein Kreuz zu machen – bei uns gar keine.

Neues zum Thema Whistleblowing

24. Februar 2008 um 19:14 Keine Kommentare

Am übernächsten Dienstag (4.3.2008) läuft auf Arte ein Themenabend zu Whistleblowing [via Whistleblower-Netzwerk-Blog]. Die Whistleblower-Plattform Wikileaks wurde vor einigen Tagen wegen einer Klage der Schweizer Privatbank Julius Bär gesperrt. Anscheinend hat ein Mitarbeiter interne Dokumente durchsichern lassen, die zeigen, dass die traditionsreichen Schweizer Bank Kunden bei der Steuerhinterziehung hilft. Hat etwa jemand anderes vermutet? Wahrscheinlich gab es diesmal auch kein Geld für den Informaten, in der Schweiz kennt sich die CDU ja selbst genügend mit Schwarzgeld aus. Mit dem kleinen, putzigen Liechtenstein ist auch ein Sündenbock gefunden, während sich „Führende Vertreter der Wirtschaft“ öffentlich distanzieren, als handle es sich bei Asozialität nicht um eine inhärenter Systemeingenschaft des Kapitalismus (Nochmal zur Aufklärung: Kapitalismus ist nicht zwingende Vorraussetzung für Soziale Marktwirtschaft und „eine andere Welt ist möglich“, auch jenseits des Staatssozialismus und Kommunismus).

Anstatt die Aufdeckung von Missständen durch Whisteblower zu unterstützen, werden in Zukunft wahrscheinlich Angestellte besser überwacht, damit es mit dem Greenwashing wieder klappt [via Telepolis]. Bleibt zu hoffen, dass Menschen trotzdem den Mund aufmachen, wenn es angebracht ist – zum Beispiel Mark Klein, der – wie vor drei Tagen bekanntgegeben wurde von der Electronic Frontier Foundation für die Aufdeckung illegaler Ãœberwachung durch AT&T und NSA ausgezeichnet wurde. Apropos USA: Manche Dokumente kommen anscheinend auch durch eigene Unachtsamkeit an die Öffentlichkeit – zum Beispiel Informationen über US-Internierungslager, in denen „im Ernstfall“ Hunderttausende massenweise eingesperrt werden sollen. [via fefes blog]

Eigentlich müsste es doch auch aus dem Umfeld islamistischer Terroristen Whistleblower geben, denen der Mord an Unschuldigen zu weit geht. Wenn aber gleichzeitig die Unschuldigen Nachbarn/Familie etc. umgebracht werden von Blackwater & Co, die dann auch noch ungestraft davonkommen, fällt es schon schwerer die Mörder aus den eigenen Reihen zu verpfeifen.

Amtliches vorläufiges Endergebnis und weniger bekannte Details

28. Januar 2008 um 00:37 2 Kommentare

Warum wird eigentlich bei diesen blöden Hochrechnungen kein Konfidenzintervall angegeben? Egal, hier das vorläufige amtliche Endergebnis für die Landtagswahl in Niedersachsen und in Hessen. Die Wahlbeteiligung lag in Niedersachsen bei 57,0% (49,5%-63,6%) bzw. 56% der Wahlbeteiligten mit gültig abgegebenen Stimmen und in Hessen bei 64,3% bzw. 62,8% gültige Stimmen. Die NPD wurde in Niedersachsen von 52.817 Menschen mit ihrer Zweitstimme gewählt und bekommt dafür als einzige der „Sonstiges“ Parteien Wahlkampfkostenerstattung (1,5% d.h. 36.971,90€). Die meisten Anhänger scheint sie in Delmenhorst (577=2,1%) und Helmstedt (1.548 = 3,6%) zu haben. In Hessen bekamen NPD und Republikaner zusammen 51.693 Stimmen (1,9%), da sie jeweils ganz knapp unter 1% liegen, dürften sie dafür kein Geld erhalten. Dass die CDU in Hessen doch noch ganz knapp vor der SPD liegt (1.009.749 zu 1.006.154 Stimmen) könnte angefochten werden, da es beim Einsatz von Wahlcomputern zu Unstimmigkeiten kam. Unter anderem lagerten Wahlcomputer in Niederhausen in Privatwohnungen von Parteimitgliedern, wie Wahlbeobachter des CCC mitteilten. Ob die Geräte so umprogrammiert wurden, dass 1798 für die SPD abgegebene Stimmen stattdessen der CDU zugeschlagen wurden, bezweifle ich, aber es ist immerhin eine mögliche Erklärung. 😉 Mehr haarsträubende Berichte vom Einsatz der Wahlcomputer in Hessen bei Netzpolitik.

30 Jahre Tunix-Kongress

26. Januar 2008 um 11:20 Keine Kommentare

Vor 30 Jahren, vom 27.-29. Januar 1978, fand in Berlin der Tunix-Kongress statt. In Wikipedia gibt es einen kurzen Ãœberblick und bei „einestages“ berichtet ein Zeitzeuge (mit Bildern). Nach dem 68er-Bashing im letzten Jahr ist das eine passende Gelegenheit für etwas Differenzierung: na sowas, es waren bei weitem nicht alle Terroristen. Der Tunix-Kongress wird als Höhepunkt der sympatisch undogmatischen Sponti-Bewegung angesehen und gab Anstoß für vieles was für die jüngeren von uns (hüstel…ich war damals noch nicht mal gezeugt) heute wie selbstverständlich zur Bundesrepublik dazugehört (taz, die Grünen, Christopher-Street-Day, die Autonomen und eine bunte Vielfalt weiterer „alternativer“ Initiativen und Organisationen). Sicherlich: Vieles davon war auch nicht der Weisheit letzter Schluß und wie Felix Lee gestern in der taz kommentierte sollte Tunix nicht überbewertet und verklärt werden – aber dabei gewesen wäre ich schon gerne. Egal. 30 Jahre später gibt es genügend Anlässe sich undogmatisch und froh daran zu beteiligen, dass die Welt nicht völlig in den Arsch geht. Macht nichts, aber tut was! 🙂

P.S: Und um mir ein weiteres Politik-Posting zu sparen hier noch der Hinweis auf nebeneinkuenfte-bundestag.de [via netzpolitik].

Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen ohne Wähler?

24. Januar 2008 um 23:21 Keine Kommentare

Aus Anlass der Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen am kommenden Sonntag hier noch einige Informationen über die weniger üblichen Optionen. Abgesehen vom unwählbaren „Hessenhitler“ haben in beiden Bundesländern Prognosen zufolge CDU, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei gute Chancen, in die Landtage einzuziehen (siehe auch die Wahlbörse von Prokons).

Wer sowieso eine dieser Parteien gut findet – sei es als positiver Anhänger oder als Vertreter der Strategie des „Kleines Ãœbels“ hat sich schon entschieden und brauch nicht mehr weiterlesen – aber was ist mit den noch Unentschlossenen? Wer Wert darauf legt, dass möglichst viele Parteien im Landtag vertreten sind, könnte sich als Protestwähler die Linkspartei überlegen – damit könnte diese in Hessen wohlmöglich noch an die Regierung kommen. Statt den Parteien im Landtag bieten sich für Protestwähler die Splitterparteien an. Dafür muss man dann aber doch ein wenig Idealist sein – oder berechnender Altruist: Ab 1% der Zweitstimmen (bzw. ab 10% in einem Wahl- oder Stimmkreis) bekommen Parteien Wahlkampfkostenerstattung. Das könnten je nach Wahlbeteiligung etwa 16.000€ (Hessen) oder 25.000€ (Niedersachsen) sein, die eine Partei dazubekommt. Die Chancen dafür sind aber eher gering, 2003 gelang es nur den Republikanern in Hessen und da die dummen Nazis dieses Jahr dort wohl eher CDU wählen, wird das auch nichts.

Es bleibt noch die Alternative, nicht oder ungültig zu wählen. Ungültig und Nichtwählen. Nichtwähler bleiben einfach zu Hause und bestätigen sowohl das Ergebnis der Wahl – wie immer es auch ausfällt – als auch ihr Desinteresse oder ihre Ablehnung der Wahl. Oder dass sie den Wahltermin verpeilt haben. Unpolitisch, verantwortungslos und undemokratisch muss das jedenfalls nicht sein – siehe zum Beispiel die Initiative Wahlabsage und das Buch Die letzte Wahl (auch in Wikipedia). Dass Nichtwähler den radikalen Parteien Vorschub leisten ist Quark und Demokratie finden wahrscheinlich viele grundsätzlich auch ganz gut – nur eben nicht diese Form der Medien-, Parteien- und Lobbyistendemokratie. Dass es unter bestimmten Bedingungen auch anders geht, zeigt Wikipedia: dort heisst eine der schönsten Regeln Nimm nicht an Abstimmungen teil. Trotzdem gibt es in Wikipedia zahlreiche Meinungsbilder und Abstimmungen. Ob, wann, wo und in welcher Form Abstimmungen sinnvoll sind, kann aber selbst wiederum diskutiert werden.

Nun ist ein Bundesland zwar nicht Wikipedia, aber alle 4 oder 5 Jahre zweifelhaften Organisationen eine Blankobescheinigung auszustellen kann es auch nicht gewesen sein. Stattdessen besteht zumindest die Möglichkeit, nicht zu wählen oder noch besser: den Gang zum Wahllokal für einen Spaziergang nutzen, den Wahlhelfern vor Ort für ihren Einsatz zu danken (bzw. sich die Wahlmanipulationsgeräte anschauen), und dann mit einem ungültigen Stimmzettel explizit gegen Mitbestimmungssimulation aussagen. Wer sich daneben anderweitig politisch beteiligt und dabei an einem offenen, gleichwertigen Austausch von Meinungen und Interessen interessiert ist, verdient mehr Respekt als jemand, der seine Stimme abgibt und sich danach höchstens noch darüber beschwert, dass „die die oben doch sowieso machen, was sie wollen.“ Dabei gibt es genügend Möglichkeiten, hier unten selber etwas zu bewirken, es muss ja nicht gleich die Revolution sein 😉