Führt das Ende der Alleinverdiener-Ehe zu mehr Ungleichheit?

3. April 2011 um 22:11 Keine Kommentare

Die wöchentliche Blogschau der Mädchenmannschaft verweist auf einen Artikel von Antje Schrupp. Sie berichtet darüber, dass das Ende der Alleinverdiener-Ehe zu mehr materieller Ungleichheit führt. Als Beleg führt Dr. Schrupp Nancy Fraser und einen Artikel von Spiegel Online an. SPON berichtet von einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), welche inzwischen auch hier als PDF vorliegt. Demnach ist das „traditionelle Familienbild, in dem der Mann alleine für das Einkommen sorgt, […] ein Auslaufmodell“ und „immer häufiger gesellen sich Geringverdiener und Gutverdiener mit Partnern, die ähnliche Einkommen haben“ (Zitat SPON).

Soweit, so unüberraschend. Sowohl SPON als auch Schrupp machen allerdings in der Kombination der genannten Trends eine Ursache dafür aus, dass die „Kluft zwischen Arm und Reich“ zunimmt: Während es früher mehr Haushalte gab, bei denen ein Vielverdiener und ein Wenig- oder Garnichtverdiener (letzter in der Regel weiblich) zusammenkamen, gibt es heute mehr Paare bei denen beide viel oder beide wenig verdienen. Abgesehen von der monokausalen Darstellung bei SPON kann ich zumindest das Phänomen nachvollziehen: Unter dem Strich gibt es mehr ärmere Haushalte und mehr reichere Haushalte als noch zu Zeiten der Alleinverdiener-Ehe, was sich in der Studie an einem Anstiegt des Gini-Koeffizienten ablesen lässt.

Ãœberraschend finde ich allerdings, dass Antje diesen Sachverhalt aufgreift und hofft, das die Studie „hoffentlich zu weiterführenden Diskussionen [führt]“. Mittlerweile gibt es in ihrem Blog auch schon über 50 Kommentare mit Verweisen auf ähnliche Studien. Bisher hat aber niemand in der Diskussion die Begriffe „Hauptwiderspruch“ und „Nebenwiderspruch“ angeführt. Das Konzept von Haupt- und Nebenwiderspruch stammt aus der Marxistischen Theorie (hier die wissenschaftlich verschwurbelte Kurzdarstellung). Soweit ich es verstanden habe, war die Idee von Haupt- und Nebenwiderspruch lange ein Totschlagargument der Linken, um Themen wie die Gleichberechtigung der Frau als nebensächlich im Vergleich zum Grundproblem Kapitalismus abzutun. Wenn nur der Kapitalismus bzw. die Ungerechtigkeit von Produktions- und Eigentumsverhältnissen abgeschafft wäre, würden sich Ungerechtigkeiten in anderen Verhältnisse ganz einfach auflösen. Irgendwann wurde das den Frauen zu blöd (bzw. einigen schon von Anfang an, wie Dr. Schrupp anhand von vier Beispielen im Rahmen ihrer Promotion zeigt). Spätestens mit dem bemerkenswerten Tomatenwurf 1968 spaltete sich die (west)deutschen Frauenbewegung von der damaligen APO ab. Aber auch innerhalb der Frauenbewegung gab und gibt es immer wieder Spaltungen, was ja garnicht so schlimm sein muss.

Schlimm finde ich nur, wenn Ungerechtigkeiten gegeneinander ausgespielt werden oder wenn ein Problem zum Haupt- und ein anderes zum daraus ergebenen Nebenwiderspruch erklärt werden. Es kann zwar vorkommen, dass die Abschaffung der einen Ungerechtigkeit (hier: Modell Alleinverdiener) zu einer Verstärkung der anderen Ungerechtigkeit (hier: Einkommensschere) führt. Daraus eine Wertigkeit oder eine Kausalität abzuleiten ist jedoch falsch. Eine Verstärkung ist keine Ursache. Deshalb ist das Ende der Alleinverdiener-Ehe für die ungerechte Verteilung der Einkommen auch völlig egal. Entweder man packt das Übel bei der Wurzel, das hieße zum Beispiel Einkommen und Kapitalismus abschaffen, oder man versucht die Wirkungen zu lindern, zum Beispiel durch Steuern auf Einkommen. Die Verbindung zwischen feministischen Errungenschaften und einem Anstieg der Armut ist jedoch eine Verschleierung eigentlicher Ursachen, selbst wenn das nicht Antje Schrupps Absicht ist.

1800 Polizisten schützen eine Wiese

21. Juni 2009 um 00:55 5 Kommentare

Mit der rhetorischen Frage „have you ever squatted an airport?“ wurde gestern in Berlin dazu aufgerufen, das Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof zu besetzen. Mit der noch andauernden Aktion soll die sofortige Öffnung der Fläche bewirkt und gegen die Privatisierung des städtischen Raums demonstriert werden (siehe Hintergründe). Von den Aktivisten, die im Vorfeld unter Anderem Anleitungen zur Zaunüberwindung veröffentlicht hatten, wurde deutlich gesagt:

„Das Ziel der Aktion ist das Gelände und nicht die Polizei. Das Mittel der Aktion wird der zivile Ungehorsam sein. Konfrontationen wird clever aus dem Weg gegangen werden. Wir verfolgen das Konzept der ausgestreckten Hand.“

Die Kommentare von den Beteiligten lesen sich nicht so als die Hand angenommen worden. sebaso twitterte: „wir brauchen dringen staatsbürgerkunde für die Polizei in Berlin. Selten so viel gepöbel und grundlose Gewalt erlebt.“. Inzwischen gibt es einige Demo-Fotos bei flickr. Am meisten Aufsehen erregte das Bild eines Zivil(sic!)polizisten, der mit seiner Waffe auf Demonstranten zielt. Das 4km2 große Gelände (544 Fußballfelder) war im Vorfeld aufwändig befestigt und gesichert worden. Hans-Christian Ströbele brachte es auf den Punkt: „1800 Polizisten aus 5 Bundesländern schützen eine Wiese, das ist ein Stück aus Absurdistan.“

Bei so viel Polizeieinsatz ist es auch nicht mehr verwunderlich, warum beispielsweise nicht genügend Polizisten zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch zur Verfügung stehen, so dass stattdessen Zensur eingeführt, um die Misstände unter den Teppich zu kehren – hier ein erklärender Cartoon und der Zensursula-Song.

Die aufwändige Polizeiaktion in Berlin erinnert auch an die Räumung des Topf & Söhne-Gelände Anfang April in Erfurt mit schwerem Polizeigerät und Spezialeinsatzkräften. Die Kosten des dortigen Einsatz überschritten den Kaufpreis des Geländes des ehemaligen KZ-Ofen-Herstellers um ein Vielfaches. Während die Besetzer auf dem Gelände freie Kulturprojekte organisierten und Geschichte aufarbeiteten, wurden die Gebäude nach der Räumung sofort abgerissen und alle Spuren beseitigt. Nun soll dort nun ein normales Gewerbe- und Wohngebiet gebaut werden – für die die es sich leisten können.

Wir begeben uns also lieber auf eine Stufe mit den Regimes in Simbabwe, Iran und China und verdrängen, was wir nicht sehen wollen, statt etwas gegen das Grundübel selber zu unternehmen. Denn das höchste Gut in diesem Land ist – nicht Kinder, nicht Gesundheit, nicht Bildung, Umwelt oder Menschenleben – sondern: das Eigentum. Es mag zwar viele Menschen (sogar Politiker) geben, die das anders sehen, aber die belügen sich nur selber, weil sie es nicht wahrhaben wollen (wie z.B. die FDP, die „keine gerechte Gesellschaft“ anstrebt) oder können (wie z.B. gutmeinend aber doof die Grünen). Sie (oder besser: wir) alle tragen dazu bei, dass das Eigentum vor allen anderen Werten steht. Die Berliner Polizisten schützen nicht nur eine Wiese sondern ein ganzes Gedankenkonstrukt – eine „fixe Idee“, die sich in unseren Köpfen so festgebrannt hat, dass wir es uns nicht andere vorstellen können: nicht diejenigen, die eine Sache benötigt oder nutzen können, sollen darüber verfügen können, sondern allein diejenige, denen es „gehört“

Ich behaupte nicht, dass Proudhons Feststellung „Eigentum ist Diebstahl“ für sich eine allglücklichmachende und einfach umzusetzende Alternative ist. Aber erstens muss man nicht gleich die Patentlösung in der Tasche haben, um auf Misstände hinweisen zu dürfen, und zweiten gibt es durchaus Alternativen. Diese herauszufinden und auszuprobieren sollte sich jedoch jeder selber Gedanken machen anstatt einfache Lösungen zu verlangen. Es reicht also nicht nur aus, die Piratenpartei zu wählen und den freien Zugang zu Informationen fördern, sondern man muss auch mal einen Flughafen besetzen 🙂

Gute Laune behalten in der Finanzkrise

9. Oktober 2008 um 10:18 3 Kommentare

Bislang versuche ich noch das Positive an der aktuellen Finanzkrise zu sehen. So ist beispielsweise Urlaub in Island endlich bezahlbar:

Kurs der Isländischen Krone

Kurs der Isländischen Krone

Leider ist es auf der schönen grünen Vulkaninsel voller Musiker um diese Jahreszeit nicht mehr ganz so gemütlich, weshalb ich mich nach anderen aufmunternden Folgen der aktuellen Finanzkrise umgesehen habe. Wenn ich schon die ganzen Hilfen für den ach so überlegenen Kapitalismus mittragen muss., möchte ich dafür wenigstens etwas zum Lachen haben. Danilo Vetter kommt mit der am Dienstag in seinem Blog begonnen Serie „Soundtrack zur Finanzkrise“ da gerade recht.

Besonders gefallen hat mir der Hinweis auf den ebenso unterhaltsamen wie lehrreichen Kurzfilm „Wie funktioniert Geld?“ (Teil 1, Teil 2, Teil 3) den Maximilian Block 2005 im Rahmen seiner Diplomarbeit erstellt hat. Man sollte sich nicht davon verwirren lassen, dass der Film als Satire daherkommt, denn die grundlegenden Prinzipien von Geld, Banken, Zins und Inflation/Deflation werden gut dargestellt.

Problematisch ist lediglich, dass der Eindruck entstehen könnte, das Finanzsystem basierte auf einer Verschwörung („Alien“). Der Fehlschluß zum antisemitischen Quark von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital, den die antikapitalistische Rechte vertritt ist da nicht weit (einer der letzten Verweise auf den Film stammt von dem Menschenfeinden des NPD-Regionalverband Böblingen, Stuttgart, Ludwigsburg). Nein, den Crash haben wir uns mit unserer Geiz-ist-geil-Mentalität schon selber eingebrockt und wenn der Ex-Hypo Real Estate-Vorstand im November 2007 sagte, dass seine Bank „gestärkt aus der Krise“ hervorginge, dann trifft das zwar nicht auf seine Bank aber eben doch auf das System zu; denn Gewinne machen möchte jeder gerne, vom Banker bis zum Arbeiter.

Es wird also wohl noch einige Krisenzyklen dauern bis zum letzten Gefecht. Die GEMA-Rechte der Internationalen lagen (liegen?) übrigens lange bei dem Volksmusik-Magnaten Hans Rudolf Beierlein; aber das mit den immateriellen Monopolrechten und wie die Allmende privatisiert wird, um weiter Gewinne und abhängige Lohnarbeit zu steigern, ist ein anderes Thema.

P.S: Wieso ist es eigentlich derzeit so ruhig um die ehemalige (?) Attac-Forderung nach Einführung einer Steuer auf internationale Devisengeschäfte o.Ä.? Attac mag zwar etwas naiv und uneinheitlich sein, aber immerhin werden auch normale Menschen angesprochen, die bei Hinweisen auf Kritische und andere Theorien verständlicherweise lieber abwinken.