1800 Polizisten schützen eine Wiese

21. Juni 2009 um 00:55 5 Kommentare

Mit der rhetorischen Frage „have you ever squatted an airport?“ wurde gestern in Berlin dazu aufgerufen, das Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof zu besetzen. Mit der noch andauernden Aktion soll die sofortige Öffnung der Fläche bewirkt und gegen die Privatisierung des städtischen Raums demonstriert werden (siehe Hintergründe). Von den Aktivisten, die im Vorfeld unter Anderem Anleitungen zur Zaunüberwindung veröffentlicht hatten, wurde deutlich gesagt:

„Das Ziel der Aktion ist das Gelände und nicht die Polizei. Das Mittel der Aktion wird der zivile Ungehorsam sein. Konfrontationen wird clever aus dem Weg gegangen werden. Wir verfolgen das Konzept der ausgestreckten Hand.“

Die Kommentare von den Beteiligten lesen sich nicht so als die Hand angenommen worden. sebaso twitterte: „wir brauchen dringen staatsbürgerkunde für die Polizei in Berlin. Selten so viel gepöbel und grundlose Gewalt erlebt.“. Inzwischen gibt es einige Demo-Fotos bei flickr. Am meisten Aufsehen erregte das Bild eines Zivil(sic!)polizisten, der mit seiner Waffe auf Demonstranten zielt. Das 4km2 große Gelände (544 Fußballfelder) war im Vorfeld aufwändig befestigt und gesichert worden. Hans-Christian Ströbele brachte es auf den Punkt: „1800 Polizisten aus 5 Bundesländern schützen eine Wiese, das ist ein Stück aus Absurdistan.“

Bei so viel Polizeieinsatz ist es auch nicht mehr verwunderlich, warum beispielsweise nicht genügend Polizisten zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch zur Verfügung stehen, so dass stattdessen Zensur eingeführt, um die Misstände unter den Teppich zu kehren – hier ein erklärender Cartoon und der Zensursula-Song.

Die aufwändige Polizeiaktion in Berlin erinnert auch an die Räumung des Topf & Söhne-Gelände Anfang April in Erfurt mit schwerem Polizeigerät und Spezialeinsatzkräften. Die Kosten des dortigen Einsatz überschritten den Kaufpreis des Geländes des ehemaligen KZ-Ofen-Herstellers um ein Vielfaches. Während die Besetzer auf dem Gelände freie Kulturprojekte organisierten und Geschichte aufarbeiteten, wurden die Gebäude nach der Räumung sofort abgerissen und alle Spuren beseitigt. Nun soll dort nun ein normales Gewerbe- und Wohngebiet gebaut werden – für die die es sich leisten können.

Wir begeben uns also lieber auf eine Stufe mit den Regimes in Simbabwe, Iran und China und verdrängen, was wir nicht sehen wollen, statt etwas gegen das Grundübel selber zu unternehmen. Denn das höchste Gut in diesem Land ist – nicht Kinder, nicht Gesundheit, nicht Bildung, Umwelt oder Menschenleben – sondern: das Eigentum. Es mag zwar viele Menschen (sogar Politiker) geben, die das anders sehen, aber die belügen sich nur selber, weil sie es nicht wahrhaben wollen (wie z.B. die FDP, die „keine gerechte Gesellschaft“ anstrebt) oder können (wie z.B. gutmeinend aber doof die Grünen). Sie (oder besser: wir) alle tragen dazu bei, dass das Eigentum vor allen anderen Werten steht. Die Berliner Polizisten schützen nicht nur eine Wiese sondern ein ganzes Gedankenkonstrukt – eine „fixe Idee“, die sich in unseren Köpfen so festgebrannt hat, dass wir es uns nicht andere vorstellen können: nicht diejenigen, die eine Sache benötigt oder nutzen können, sollen darüber verfügen können, sondern allein diejenige, denen es „gehört“

Ich behaupte nicht, dass Proudhons Feststellung „Eigentum ist Diebstahl“ für sich eine allglücklichmachende und einfach umzusetzende Alternative ist. Aber erstens muss man nicht gleich die Patentlösung in der Tasche haben, um auf Misstände hinweisen zu dürfen, und zweiten gibt es durchaus Alternativen. Diese herauszufinden und auszuprobieren sollte sich jedoch jeder selber Gedanken machen anstatt einfache Lösungen zu verlangen. Es reicht also nicht nur aus, die Piratenpartei zu wählen und den freien Zugang zu Informationen fördern, sondern man muss auch mal einen Flughafen besetzen 🙂