Mediale Wirklichkeit und Quellen bei der G8-Berichterstattung

9. Juni 2007 um 13:04 2 Kommentare

Wie mediale Wirklichkeit entsteht zeigt Stefan Niggermeiner mit der Chronologie einer Falschmeldung über den fälschlicherweise von dpa verbreiteten Gewaltaufruf Walden Bellos am letzten Samstag in Rostock. Wie es zu dieser noch Tage später weiterverbreiteten Ente kommen konnte erklärt die ehemalige dpa-Mitarbeiterin Christiane Link. Insgesamt hat die G8-Berichterstattung wieder einmal gezeigt, dass es unzureichend ist, sich allein auf klassische Medien zu verlassen. Nicht dass die Gerüchteküche Blogosphäre und Videoschnipsel unklarer Herkunft die bessere Alternative wären: Wer seine Informationen lediglich von indymedia bezieht (das mit seinen G8-Beiträgen sowohl zeitlich als auch ideologisch der Entwicklung immer ein bischen hinterherhinkte), dürfte auch nicht besser informiert sein als der normale Zeitungsleser. Aber im Netz findet oft darüber hinaus ein aktiver Diskurs mit Bezug auf Originalquellen statt. Dabei werden mehrere Sichtweisen berücksichtigt und es entsteht ein umfassenderes Bild als sich in einer Schlagzeile wiedergeben ließe. Vorgemacht hat es Wikipedia mit dem Neutralen Standpunkt und der Forderung nach weiterführenden Belegen und Quellenangaben. So lässt sich beispielsweise auch klären, wie innovativ die angeblich so überraschende „5-Finger-Strategie“ der Demonstranten war.

Von G8, Ляпис Трубецкой und Krosslingualer Suche

7. Juni 2007 um 01:46 2 Kommentare

Eine der ebenso schönen wie gefährlichen Eigenschaften des Netzes ist es, Dinge kennenlernen zu können, denen man anderweitig wohl nur durch ferne Reisen begegnet wäre – beispielsweise Heiligendamm oder Minsk. Nun habe ich einen Ohrwurm von der weißrussische Band Ляпис Трубецкой (Lyapis Trubetskoj), deren neue Single Капитал (Kapital) schon seit März in den Russischen TOP 100 läuft. Dazu gibt es ein sehr schönes Video, auf das ganz am Rande Neuraum in einem intelligenten Kommentar zu den G8-Protesten bei Spreeblick (aktuelle Berichterstattung unter Spree8) hingewiesen hat. Er zitiert den Refrain:

In der linken Hand “Snickers”,
In der rechten Hand – “Mars”
Mein PR-Manager ist
Karl Marx

Eine grobe englische Ãœbersetzung gibt es bei Belarusnews, das russische Original scheint das hier zu sein – ich sollte endlich mal kyrillische Buchstaben lernen. Kann jemand mit einer guten deutschen Ãœbersetzung aushelfen? Nützlich war bei der kurzen Recherche die bei AgoraWissen beschriebene Google Cross Language Search.

P.S.: Und noch zwei nette Videos zu G8 bei YouTube (extra3 bzw. scheibenwischer).

Deklaration für gerechteren Zugang zu Wissen

29. Mai 2007 um 17:15 Keine Kommentare

Das Netzwerk Freies Wisses hat anläßlich des kommenden G8-Gipfels, speziell zu Fragen des geistigen Eigentums der immateriellen Monopolrechte die Declaration for better development and just access to knowledge in all forms veröffentlicht. Die Deklaration kann ab sofort unter http://declaration.wissensallmende.de online unterzeichnet werden.

Der Unterzeichnerliste entnehme ich weitere Organisationen, die sich für Freies Wissen einsetzen, darunter das (anscheinend inzwischen eher inaktive) Netzwerk neue Medien und Piratenparteien aus Schweden, Holland, Russland, Österreich und Deutschland. Die Piratenpartei hat nichts mit dem Fluch der Karibik zu tun, sondern ist trotz des albernen Namens angesichts der fortschreitenden Kontrolle des Internets (aktuell zum Beispiel unter dem realitätsfernen Vorwand Bomben verhindern zu können) anscheinend leider viel notwendiger als beispielsweise die altehrwürdige APPD, die übrigens einer der Vorreiter der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen war – aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Enzensberger löst Gipfeltreffen-Problematik

28. Mai 2007 um 12:09 2 Kommentare

Einen zuvorkommenden Vorschlag zum Gifpeltreffen der G-8 und anderer Gifpel nicht nur von „G 4, G 6, G 7, G 10, G 12 oder G 20“ unterbreitet Hans Joachim Magnus Enzensberger in Spiegel Online. Dass der Gipfel in dieser Form für keinen der Teilnehmer und Demonstranten ideal ist, dürfte offensichtlich sein. Enzensberger fragt sich, ob es „angenehm [sei], mehrere Tage in einem Gefangenenlager, mag es auch noch so luxuriös ausgestattet sein, zu verbringen“ und weist darauf hin, dass die Gifpelteilnehmer „sicher ohne dass Sie es bemerken, wie eine Besatzungsmacht auf[treten]“.

Während Sie endlose Sitzungen, Ansprachen und Galadiners über sich ergehen lassen müssen, wird vor der Tür ein Ausnahmezustand verhängt, der sich nur schwer mit den Garantien unserer Verfassung vereinbaren lässt. Zehntausende von Bewaffneten stehen vor Ihnen stramm. Es werden Straßensperren errichtet und Ausgangsverbote erlassen. Der öffentliche Raum ist enteignet. Weiträumige Demonstrationsverbote, lückenlose Überwachung, vorbeugende Verhaftungen sind, schon lange bevor Ihre Hubschrauber eintreffen, nicht die Ausnahme, sondern die Norm. Nicht nur legen derartige Veranstaltungen ganze Millionenstädte lahm; auch friedliche Dörfer werden routinemäßig in den Belagerungszustand versetzt. Erinnerungen an Krieg und Diktatur werden wach, was bei Zartfühlenden zu allerlei Missverständnissen führen kann.

Die Lösung, mit der eigentlich alle gut leben könnten: Drei sorgfältig ausgewählte, abgelegene Inseln, die „Exklusivität und ein unbeschwertes Beisammensein ermöglichen […] und gewiss ließe sich auch ein exterritorialer Status leicht vereinbaren, so dass Sie auf etwaige Verfassungsprobleme keine Rücksicht zu nehmen brauchten.“ Die Sicherheit ließe sich mit „Ãœberwachungssatellit, eine[r] Batterie erprobter Abwehrraketen, eine[r] Staffel von Kampfflugzeugen und ein paar Kriegsschiffe[n]“ sicherstellen und günstiger als die Millionenschweren Einschränkungen von Grundrechten dürfte es auch werden.

Aber wahrscheinlich ist dieser Vorschlag zu einfach, als dass er sich politisch durchsetzen ließe. Bleibt wenigstens die praktisch verwertbare Schlußfolgerung, dass Enzensberger wunderbare Essays schreibt. [mehr bei Spiegel Online]

In der Gipfelbibliothek, auf die netbib hinweist findet sich übrigens bislang kein Werk von Enzensberger.