In die Pleite mit ungeplanten Medien-Mashups

29. September 2008 um 19:59 3 Kommentare

Eine interessante Verkettung von Internetbasierten Medien hat am 8. September zu einem Verlust von mindestens 20 Millionen Dollar in 5 Minuten geführt. Für Banken sind das zwar im Moment sprichwörtliche „Peanuts“ (die ich gerne annehme), aber die Geschichte ist so bemerkenswert, dass ich die Details nachrecherchiert und hier zusammengefasst habe. Weitere Informationen gibt es unter Anderem im Artikel von James Erik Abels.

Am 10.12.2002 veröffentlichte die Zeitung Chicago Tribute einen Artikel über den damaligen Konkurs der Flugline United Airlines. Der Artikel erschien auch im Online-Portal South Florida Sun Sentinel, das zum Tribune gehört. Inzwischen ist United Airlines wieder – mehr schlecht als recht – im Geschäft und der Artikel war im Sentinel über das Archiv abrufbar – im Google Cache kann man sich noch ein Bild davon machen. Wegen des Sturms am Wochenende suchten anscheinend mehr Sentinel-Nutzer nach „United Airlines“ und stießen auf den Artikel, der – es war sonst wohl nix los – auf der Seite unter „Popular stories / most viewed“ auftauchte. Die dort verlinkten, durch die „Wisdom-of-the-Crowds“ ausgewählten Artikel werden nicht nur wiederum häufiger angeklickt sondern auch von Newsaggregatoren wie Google News eingesammelt. Die Agentur Income Securities Advisors Inc. bekommt den Artikel vom Newsaggregator über einen Suchalert und anstatt nochmal nachzurecherchieren schickt der betreffende Mitarbeiter eine Mitteilung an seine Kunden und an Bloomberg Terminal, das Informationsportal für Börsenhändler (die genaue Tickermeldung konnte ich nicht mehr ausfindig machen). Daraufhin werden UA-Aktien verkauft (durch Menschen oder Softwareprogramme, die den Ticker auswerten); als der Kurs fällt, verkaufen automatisch weitere Softwareprogramme und der Kurs stürzt bei einem Verkaufsvolumen von mehr als 20 Millionen $ von 12.45$ auf 3$ – bis der Handel ausgesetzt wird. Corey Rosenbloom hat in seinem Artikel eine Grafik ders Kursverlaufs.

Hm, das erinnert mich an Joseph Weizenbaums bereits 1976 erschienenes Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“. Irgendwo waren zwar noch Menschen beteiligt, aber die von ihnen geschaffenen Systeme (Online-Archive, Aggregatoren, Empfehlungs- und Alerting-Dienste, Börsenprogramme und – last-but-not-least – der alte „Schlawiner Kapitalismus“) beherrschen weitgehend das Geschehen. Ich habe die Geschichte in meiner Lehrveranstaltung verwendet, um verschiedene Informationsdienste zu illustrieren und auf die Bedeutung von Metadaten und Informationskompetenz hinzuweisen.

Eine eigene Darstellung der Geschehnisse von Sentitel vom 9.9. gibt es hier und ein passendes Video zur Bankenkrise gibt es von Extra 3.