Befremdliches, Allzumenschenverachtendes: Ein Katalogisat für feige Geister

24. September 2010 um 16:57 1 Kommentar

Axel Schaper hat in netbib über die Verwendung des SWD-Schlagwort Überfremdung zur Beschreibung von Sarrazins Buch geschrieben, für das ja in Spiegel, Bild & Co eifrig Werbung gemacht wurde. Anscheinend hat sich da jemand bei der Katalogisierung nichts bei der Übernahme von rechtem Vokabular gedacht, und das Unwort des Jahres 1993 als offizielles Sach-Schlagwort eingeführt.

Dass Medien und Politiker dabei helfen, bislang geächtete, menschenverachtende Rhetorik zu verbreiten, ist ja schon schlimm genug – aber Bibliotheken?! Ich hoffe, dieser peinliche Fehler wird wieder rückgängig gemacht. Stattdessen könnten Bibliotheken viel besser zur Versachlichung und Aufklärung beitragen, indem sie Bücher zu Integration und Fremdenfeindlichkeit aktiv herausstellen. Bibliotheken könnten sich zudem zu Recht als zu einer guten Integration Beitragende bekannter machen. Warum sind Bibliotheken so ängstlich?

Zugegeben: Katalogisierung ist subjektiv und nicht einfach. Aber Begriffe wie „Neger“ sind als Schlagwort zur inhaltlichen Erschließung von Büchern zu Recht auch nicht mehr gebräuchlich. In den USA gibt es eine ausgeprägtere Kultur des kritischen Katalogisierens, siehe zum Beispiel Radical Cataloging und Sorting things out.

Hier einige Alternativvorschläge aus der SWD: Rechtspopulismus, Soziale Ächtung, Ausländerfeindlichkeit, Islamophobie. Und weil es so schön und entlarvend ist, noch etwas von Karl Valentin und Liesl Karlstadt.

Valentin
Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.
Karlstadt:
Das ist nicht unrichtig. – Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd?
Valentin:
Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr.
Karlstadt:
Sehr richtig! – Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, bleibt er dann immer ein Fremder?
Valentin:
Nein. Das ist nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, denn dann ist ihm nichts mehr fremd.
Karlstadt:
Es kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein!

P.S: Den Hinweis auf Axels Beitrag habe ich von Christian und von Lambert.

Ãœbersicht Social-Cataloging-Plattformen

12. Oktober 2009 um 22:39 4 Kommentare

Anknüpfend an die inzwischen schon etwas veraltete Übersicht webbasierter Literaturverwaltung und an die provokante Frage, ob und wie Bibliotheken das Katalogisieren lieber den Nutzern überlassen sollten, habe ich zusammen mit Silvia Czerwinski folgende Übersicht von Social-Cataloging-Plattformen zusammengestellt. Ausgenommen sind an dieser Stelle Dienste zur gemeinsamen (wissenschaftlichen) Literaturverwaltung wie Mendeley, CiteULike, Connotea und BibSonomy sowie webbasierte OpenSource-Software wie WIKINDX und Aigaion.

Die größten Social-Cataloging Plattformen für Bücher sind LibraryThing und GoodReads gefolgt von ähnlichen Dienste wie aNobii (benannt nach dem Bücherwurm Anobium Punctatum) und Shelfari. Im Open Library Project wird ebenfalls gemeinsam katalogisiert, wobei automatische Massenimports den Großteil ausmachen. Daneben gibt es Buch-Communities wie weRead (vor allem verbreitet in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Orkut, MySpace etc.), bookJetty und BookCrossing sowie aus dem deutschsprachigen Raum Quillp und Lovelybooks. Bei diesen Communities handelt es sich jedoch nicht um vollständige Katalogisierungsplattformen, da hier nur persönliche Listen, Bewertungen und Kommentare zu bereits vorhandenen Büchern angelegt werden können. Dafür bietet Quillp die Möglichkeit, eigene Manuskripte hochzuladen und von anderen Lesern bewerten zu lassen. Die Verknüpfung mit Bibliotheken ist vor allem bei LibraryThing und bei bookJetty ausgeprägt.

Die Inhalte des größten und einflussreichsten Filmkatalogs, der Internet Movie Database (IMDb), werden ebenfalls von den Benutzern gesammelt. ImDb ist im Besitz von Amazon.com, das auch Shelfari und über Abebooks eine 40%ige Beteiligung an Librarything hält. Weitere Film-Communities ohne Katalogisierungsmöglichkeit sind u.a. Flixster und Criticker.

Zur gemeinschaftlichen Katalogisierung von Audio-Publikationen (vor allem Musik) gibt es Discogs, MusicBrainz, MusicMoz und freeDB. Im Gegensatz zu reinen Musik-Communities wie Last.fm und Rate Your Music steht nicht die Bewertung, Kommentierung und Gruppierung von Musik im Mittelpunkt, sondern die Erschließung von Künstlern, Gruppen, Stücken, Veröffentlichungen und Herausgebern. Eine Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Deutschen Musikarchiv oder der GEMA findet – abgesehen von der gegenseitigen Verwendung als Quelle – bislang nicht statt.

Herausragend in der Tiefenerschließung sind Social-Cataloging-Plattformen für Spezialbereiche, wie zur Katalogisierung von Comics (Grand Comic-Book Database), Computerspielen (MobyGames) oder Animes und Mangas (MyAnimeList). Hier zeigt sich, dass engagierte Nutzer in Masse einfach unschlagbar sind: ebenso wie Wikipedia dank Tausender von Freiwilligen umfangreicher und detaillierter als jede herkömmliche Enzyklopädie werden konnte, können spezialisierte Social-Cataloging-Plattformen wie LibraryThing, IMdB und die Grand Comic-Book Database ihren Sammlungsgegenstand umfangreicher und tiefer erschließen als es eine überschaubare Zahl von Bibliothekare oder Dokumentare je schaffen – allerdings nur unter der Vorraussetzung, dass eine kritische Masse und eine leistungsfähige und einfach zu bedienende Katalogisierungsoftware vorhanden sind.

Schlagwortnormdatei führt generisches Femininum ein

26. April 2007 um 16:57 2 Kommentare

Wie im Weblog der StaBi Hamburg dargestellt, hat die Schlagwortnormdatei (SWD) das Schlagwort „Deutschland / Bundeskanzler“ im Mai 2006 in „Deutschland / Bundeskanzlerin“ geändert. Damit wurde erfolgreich das generische Femininum für die Rolle des Regierungschefs der Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland eingeführt. In Wikipedia darf inzwischen wenigstens das einfache Femininum verwendet werden wenn auf Frauen verwiesen wird, anderswo wird gefordert, bei speziellen Berufe immer weibliche Form zu verwenden. Ich warte noch auf eine qualifizierte Untersuchung zur geschlechstspezifischen Diskriminierung in der Dokumentation – das wäre doch eine interessante Abschlussarbeit in den Fächern Gender Studies und Informationswissenschaft.

Zum Bundeskanzler in der SWD ist noch anzumerken, dass es, wie man an diesem Datensatz sieht gleich vier Schlagwörter gibt:

Wahrscheinlich ist da die Wiedervereinigung und die Trennung zwischen Amt und Behörde Schuld. In Wikipedia wird übrigens ebenso genauer unterschieden. In anderen Fällen wird in der SWD übrigens explizit eine weibliche Form ausgewiesen, siehe die Schlagwörter Regierungschef und Regierungschefin. Die Verknüpfungen in der SWD sind mir bislang etwas undurchsichtig und mir fehlt ein freiwilliger Perl-Programmierer als Hilfe, um ein benutzbares Skript zu vollenden, ansonsten könnte ich die Beziehung zwischen den Schlagwörtern ebenso schön graphisch darstellen wie hier die Zeitschriftendatenbank (ZDB).