Comics in Bibliotheken – ohne Social Cataloging?

20. März 2011 um 23:57 7 Kommentare

Bevor ich das Buch aus der Fernleihe wieder zurückgeben muss, möchte ich auf die Aufsatzsammlung „Graphic Novels and Comics in Libraries and Archives“ (hrsg. von Robert G. Weiner, McFarland 2010) hinweisen. Der Schwerpunkt liegt zwar auf dem US-Amerikanischen Bibliothekssystem; grundsätzlich sei das Buch jedoch jedem empfohlen, der sich für Comics und Bibliotheken interessiert. Ein kurzes Interview mit dem Herausgeber gibt es hier. Außerdem ist mir in den letzten Monaten folgendes zum Thema untergekommen:

Matthias Harbeck hat 2008 am Institut für Bibliothekswissenschaft seine Masterarbeit „Das Massenmedium Comic als Marginalbestand im deutschen Bibliothekssystem?“ geschrieben (veröffentlicht 2009: urn:nbn:de:kobv:11-10099165). Eine Zusammenfassung erschien unter dem Titel „Comics in deutschen Bibliotheken – Ressourcen für Forschung und Fans“ letzten Dezember in Bibliothek – Forschung und Praxis DOI 10.1515/bfup.2010.044 [PDF].

Ralf Palandt hat letzten Monat im Blog der Gesellschaft für Comicforschung die drei großen Comicbibliotheken in Deutschland vorgestellt: Die Bédéthek der Arbeitsstelle für Graphische Literatur an der Universität Hamburg, das Comic-Archiv des Instituts für Jugendbuchforschung an der Goethe Universität Frankfurt a.M. und die Comic-Bibliothek Renate in Berlin.

Sowohl im Sammelband von Weiner als auch in der Arbeit von Harbeck spielt die Katalogisierung von Comics eine Rolle. Allerdings berücksichtigen beide nur die bibliothekarische Erfassung. Gerade bei der Erschließung von Comics weisen Bibliothekskataloge jedoch sowohl in der Breite als auch in der Tiefe große Lücken auf. Stattdessen gibt es einige Alternativen die aus freiwilligen Projekten stammen: Ein Beispiel ist die kollaborative Katalogisierungsplattform Grand Comic-Book Database (comics.org), deren Erschließungsregeln mich stark an die Komplexität bibliographischer Regelwerke erinnern. Selbstverständlich gibt es auch bei LibraryThing Einträge zu Comics. Einen Ersatz für die nicht existierende „Deutsche Nationalbibliographie Reihe Comics“ bietet der Deutsche Comic Guide. Leider haben die Betreiber des Comic-Guide eine etwas seltsame Rechtsauffassung was die (in Teilauszügen selbstverständlich mögliche) Weiternutzung ihrer Daten betrifft. Eine wichtige Rolle spielen auch Comic-Fachbibliographien, wie sie z.B. regelmäßig in der Literaturwissenschaftlichen Comiczeitschrift Reddition veröffentlicht werden. Wie praktisch alle Comic-Fachzeitschriften ist Reddition allerdings in deutschen Bibliotheken leider nur selten zu finden, von einer strukturierten digitalen Erfassung der darin aufgeführten Comics ganz zu schweigen.

Insgesamt hat sich die Lage von Comics in Bibliotheken zwar in den letzten Jahren verbessert, sie führen aber noch immer eher ein Nischendasein. Wie mir meine Lieblingsfachreferentin, von der ich auch den Hinweis auf den Sammelband habe, mitteilte, wird jedoch an deutschen Hochschulen regelmäßig zu Comics gelehrt und geforscht. Dadurch sollte sich auch an Hochschulbibliotheken die Situation etwas verbessern. Für die Katalogisierung von Comics halte ich angesichts der Heterogenität von Quellen mittel- bis langfristig die Zusammenführung als Linked Open Data für vielversprechend, allerdings sind mir noch keine Initiativen in diese Richtung bekannt. Ideal wäre eine ViFa Comic (mit dauerhaften Personalmitteln) oder ein „Institut für Comicforschung“.

Zuletzt darf der Hinweis auf Unshelved nicht fehlen. Das Theme Bibliotheken im Comic wäre einen eigenen Artikel wert.

Ontologien und Ontologiesprachen definiert – ganz ohne „Semantik“

14. März 2011 um 18:21 5 Kommentare

Die Artikel „Ontologie“ und „Ontologiesprache“ gehören neben dem Eintrag „Metadaten“ zu den umfangreichsten Artikeln, die ich für das Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (LBI) übernommen habe. Da die Artikel bis Donnerstag fertig sein müssen, hier die aktuelle Vorabversion. Die mit „↗“ gekennzeichnet Links ergeben sich aus der Auswahl anderer Einträge im LBI:

Ontologie:
Strukturierte Sammlung von beliebigen ↗Kategorien, Relationstypen und Regeln zur Beschreibung von Objekten. Der Begriff O. ist an die gleichnamige philosophische Disziplin der „Lehre vom Sein“ angelehnt. Anfang der 1990er wurde der Begriffsumfang ausgehend von der ↗künstlichen Intelligenz in der Informatik auf beliebige Systeme zur ↗Wissensrepräsentation ausgeweitet. Trotz starker thematischer Ãœberschneidungen wird er meist ohne systematischen Rückgriff auf verwandte Konzepte der ↗Datenmodellierung und der dokumentarischen ↗Wissensorganisation und ↗Informationspraxis angewandt, vor allem im Bereich des ↗Semantic Web.

Die Bestandteilen einer O. lassen sich in ↗Klassen (↗Allgemeinbegriff), Instanzen (↗Individualbegriff) und Eigenschaften als Relationstypen (↗Klassem, ↗Facette) unterscheiden. Hinzu kommen Regeln in Form von ↗Integritätsbedingungen und Ableitungsregeln (Inferenz). Alle Bestandteile sollten durch ↗Definitionen und ↗Scope notes erklärt sein.

Die Möglichkeiten der Strukturierung einer O. hängen von der ↗Ontologiesprache ab, in der die O. ausgedrückt ist. Die Bandbreite der Ausdrucksfähigkeit reicht von einfachen ↗Terminologien und ↗Kontrollierte Vokabularen über ↗Taxonomie und ↗Thesauri mit festen Relationstypen bis zu Systemen mit freien Relationstypen wie ↗Semantischen Netzen, ↗Topic Maps, und ↗Datenmodellen. Im engeren Sinne grenzen sich O. von der letztgenannten Gruppe durch eine freie Wahl von Regeln ab. Zudem müssen bei einer O. Klassen, Individuen und Relationstypen nicht unbedingt disjunkt sein, so dass sich sehr komplexe Zusammenhänge detailliert beschreiben lassen. In der Praxis wird von diesen Erweiterungen, wie z.B. Aussagen über Aussagen, jedoch nur begrenzt Gebrauch gemacht, da sie die allgemeine Nutzbarkeit einer O. einschränken.

Eine weitere übliche Unterteilung von O.typen besteht in O. mit begrenztem Gegenstandsbereich und übegreifenden O. die allgemeinere Begriffe beschreiben. Hauptanwendungsgebiete von O. ist der ↗Datenaustausch zur automatischen Informationsintegration. Im Gegensatz zu herkömmlichen Datenmodellen (z.B. einem ↗Kategorienkatalog) wird mit O. die Nutzung von hoch formalisierten Modellen unabhängig von einzelnen Anwendung angestrebt. Dafür können O. z.B. mit ↗RDF aufeinander bezogen und miteinander kombiniert werden. Die Nutzung gemeinsamer O. und O.bestandteile soll das automatische Zusammenführen und Auswerten von ↗Informationen aus unterschiedlichen ↗Quellen ermöglichen. Beispiele für solche Ontologien sind das CIDOC ↗Conceptual Reference Model und ↗OAI-ORE. Da viele Informationen nur unstrukturiert vorliegen, werden Ontologien zunehmend mit Verfahren der ↗Computerlinguistik kombiniert.

siehe auch: ↗Modellierung, Deduktionssystem

Ontologiesprache:
Formales System zur Beschreibung von ↗Ontologien. Populäre Beispiele im Bereich des ↗Semantik Web sind RDF Schema (RDFS), die ↗Web Ontology Language (OWL) und deren Vorläufer ↗DAML+OIL für Ontologien über ↗RDF-Daten. In anderen Bereichen können je nach Ontologiebegriff und ihrer Anwendung Schemasprachen wie ↗XML Schema und die ↗Data Definition Language sowie konzeptuelle Modellierungssprachen wie die das ↗Entity-Relationship-Datenmodell (ERM), die ↗Unified Modeling Language (UML) und ↗Object Role Modelling (ORM). Hinzu kommen ergänzende Regelsprachen wie Common Logic und das Rule Interchange Format (RIF). Beschreibungssprachen für ↗Kontrollierte Vokabulare wie das ↗Simple Knowledge Organisation System (SKOS) werden seltener zu den O. gezählt. Zur Beschreibung von O. werden gelegentlich spezielle (Meta-)O. wie Meta-Object Facility (MOF) eingesetzt.

Die konkreten Fähigkeiten einer O. bestimmen, wie in einer Ontologie Konzepte, Relationen und Regeln definiert und in Beziehung gesetzt werden können. Angestrebt wird i.d.R. ein hoher Grad an Formalisierung und Ausdrucksstärke bei gleichzeitig beherrschbarer Komplexität. Dafür basieren O. auf mathematischen Logiksprachen wie der ↗Beschreibungslogik. Da mit steigender Ausdrucksstärke die praktische und theoretische Berechenbarkeit einer O. abnimmt, gibt es für viele O. in abgestuften Varianten, vor allem im Bereich der möglichen ↗Integritätsbedingungen und Inferenzregeln. Grundsätzlich stoßen O. beim Umgang mit ungenauen Angaben (↗Fuzzy-Logik) und Strukturen höherer Ordnung (z.B. Regeln über Regeln) an ihre Grenzen.

Prinzipiell lassen sich auch ↗Programmiersprachen als O. nutzen. Der Vorteil von O. besteht jedoch darin, dass Ontologien damit prinzipiell übersichtlicher und weniger an konkrete Technologien gebunden sind, so dass sie sich besser miteinander vergleichen und kombinieren lassen. Im Besten Fall dienen O. ebenso wie Beispiele und Dokumentation dazu durch ↗Modellierung, die Kluft zwischen dem oft implizitem ↗Wissen über Sachverhalte und ihrer Abbildung in einem ↗Informationssystem zu überbrücken.

siehe auch: ↗Deduktionssystem

Nach meiner Definition hat Ontologie nichts mit „Semantik“ zu tun, zumindest wäre der Bezug zur Klärung wenig hilfreich. In der deutschsprachigen Wikipedia hatte ich es 2003 so eingetragen, inzwischen ist der Artikel dort etwas unverständlich und der Englischsprachige ziemlich einseitig. Aber das lässt sich ja ändern. Meine Texte stehen frei unter CC-BY-SA.