Wie leicht lässt sich die TV-Realität beeinflussen?

12. April 2008 um 00:51 4 Kommentare

Teilnehmer der Gruppe Hedonistische Internationale (HI) haben dem (eigentlich ganz netten) TV-Magazin Polylux einen Beitrag über einen angeblichen Speed-Konsumenten untergejubelt. In einer Presseerklärung kritisiert die HI:

Erschreckend, wie einfach es ist, selbst gewählte Inhalte in Massenmedien zu platzieren und so gesellschaftliche Wirklichkeit werden zu lassen. […] Zentrale Bereiche des Journalismus werden an unterbezahlte Praktikanten ausgelagert, denen es aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse und des daraus resultierenden Drucks schwer möglich ist, ausreichend Zeit und Ressourcen in ihre Arbeit zu investieren.

Eine Richtigstellung habe ich auf der Seite von Polylux/Polylog bisher nicht finden können (P.S: ah, hier wird der Schwarze Peter weitergeschoben, P.P.S: und inzwischen offen diskutiert), stattdessen haben sie das Video einfach entfernt und die Kopie bei YouTube löschen lassen. Schade, dass die Redakteure nicht die Courage haben, den Fehler einzugestehen und die Leser für so unmündig halten, dass sie sich nicht selber ein Bild machen können. Stattdessen bestreitet der Sprecher des RBB im Intellektuellen-Boulevard die Probleme:

Den Vorwurf, Fernsehredaktionen würden schlecht recherchieren, wies Kotsch von sich. Man müsse sich trotzdem in Zukunft darüber Gedanken machen, wie ein weiterer Vorfall dieser Art verhindert werden könne. Personelle Konsequenzen würde der Sender allerdings nicht ziehen; genügend Personal, um gründlich zu recherchieren, gebe es auch.

Passender wäre ein Hinweis auf Michael Born, an den Günter Jauch wohl eher ungern erinnert wird. Die Darstellung von Thomas Pritzl in seinem Buch „Der Fake-Faktor. Spurensuche im größten Betrugsfall des deutschen Fernsehens“ (kopäd, 2006, ISBN 3-938028-69-6) ist sicherlich aufschlussreicher als die berechtigte aber kurze Kritik der Hedonistischen Internationalen. Obgleich ich eine klammheimliche Freude an der Aktion nicht verhehlen kann, frage ich mich jedoch ein wenig, was das ganze Spaß soll – vor allem nachdem ich mir selber ein Bild machen konnte (dank Google Video). Die gefakten Speed-Konsumenten sind übertrieben, aber Hans-Christian Dany, der im Beitrag als Experte vorkommt, kennt sich schon aus. Sein Buch Speed. Eine Gesellschaft auf Droge vermittelt ein besseres Bild als jeder TV-Beitrag und wenn nicht das Sach- und Personenregister fehlen würde, könnte ich es als unterhaltsames Standardwerke empfehlen (unterhaltsam ist es trotzdem).

Was mich an der Aktion etwas stört: Wenn die Massenmedien so einfach zu „unterwandern“ sind, sollte dort statt irrelevanter Späße besser Aufklärung eingebracht werden. Die Themenliste der Initiative Nachrichtenaufklärung ist leider etwas eingeschlafen. Sehr zu empfehlen zu „Konstruktion von Realität mittels Medien“ ist übrigens der Vortrag Die Wahrheit und was wirklich passierte vom 24C3 (Video über Torrent oder hier). Das Bekennervideo der Hedonistischen Internationalen ist darüber hinaus ein durchaus lustiges Stück (Real?)satire.

Siehe auch die Beiträge zum Fake bei Tanith, bei Netzpolitik und etwas anderes zum Thema Gehirn-Doping bei Nature [via Koehntop].

4 Comments »

RSS feed for comments on this post. TrackBack URI

  1. […] Nein, muss es nicht – ebensowenig wie das, was in der Zeitung steht. Und dann haben die noch nicht mal die Chuzpe, das einzugestehen? Kein Wunder, dass ich Polylux extrem seltsamst finde… Ja, ja, Qualitätsjournalismus – hohes Ziel, aber leider mit Fallstricken. (Ich werds mal als aktuelles Beispiel für “Nie absichtlich die Unwahrheit verbreiten” beim News-Workshop anführen…) […]

    Pingback by Nur mein Standpunkt » “Das kam im Fernsehen, das muss ja dann stimmen” — 12. April 2008 #

  2. […] Aktion hat sich gelohnt, und wird  an vielen Orten kommentiert …  manch einer mag eine klammheimliche Freude nicht verhehlen können oder findet die Aktion herrlich. Auch ich finde, diese Aktion hat was, und was Polylux […]

    Pingback by Polylux auf Speed | Johannes Moskaliuk — 12. April 2008 #

  3. Schön, dass es jetzt auch Polylux erwischt hat. Das Löschen von Falschmeldungen und die Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, gehört bei TV- und Printmedien zum Standardrepertoire. Siehe dazu auch einen Beitrag von Stefan Niggemeier über die Print-Medien: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/geht-sterben/

    Comment by Bibliothekswelt — 14. April 2008 #

  4. Habe leider diesen Faux Pas der Redaktion Polylux nicht mitbekommen. Aber die Reaktion ist doch Standard: Keine Verantwortung übernehmen, keine Fehler eingestehen und wie es der rbb-Sprecher Kotsch macht, der übrigens Jahre lang kritischer Medienjournalist bei der Berliner Zeitung war, stets die öffentlich-rechtlichen Sender als Hort des Qualitätsjournalimus darstellen. So gehen ARD/ZDF-Sender mit Kritik um. Das erinnert mich an die Reaktion als ich vor 2 Jahren Polylux mein Buch zur Kritik in der Sendung anbot: „Ach nein, das ist ja schon zu lange her“, so die Redaktion, „daran erinnert sich ja niemand.“ Vielleicht wissen die Medien einfach zu genau, dass sie stets Gefahr laufen Fakes aufzusitzen… und retten sich in den profanen Lifestyle-, Talk- und Prominentenjournalismus… Oh je!

    Comment by pritzl — 18. Juni 2008 #

Sorry, the comment form is closed at this time.