Vom Löschen und Betreuen neuer Wikipedia-Artikel

9. Mai 2007 um 16:30 3 Kommentare

Ãœber die Löschkandidaten in Wikipedia bin ich zufällig auf den Artikel über getAbstract gestolpert, der zur Löschung steht. Ein anderer neuer Wikipedia-Artikel, dessen vollzogene Löschung zur Zeit anderswo diskutiert wird ist der Verein BücherFrauen e.V. Beide Artikel waren eigentlich relativ stimmig, übersichtlich und einigermaßen informativ – trotzdem fanden sich in beiden Fällen wenig Befürworter für eine Beibehaltung in der Wikipedia. Was lässt sich daraus lernen?

Die Firma getAbstract erstellt nach eigenen Angaben „Buchzusammenfassungen“ – genauer gesagt „Abstracts“ oder „Referate“, es handelt sich also um einen Referatedienst, so etwas gibt es praktisch seit über 100 Jahren. Im Artikel selbst fand sich davon jedoch kein Wort, stattdessen war in PR-Geschwafel von „Wissenskomprimierung“ und der Rolle als „führender Anbieter von Buchzusammenfassungen“ die Rede als hätte sich die Firma das Abstracting selber erfunden. Angaben, die Firmen nicht so gerne herausrücken, beispielsweise Umsatzzahlen und Vergleiche mit anderen Anbietern, fehlen dagegen. Im Falle des Artikels BücherFrauen e.V. (inzwischen im Vereinswiki untergekommen) ist die Darstellung zwar etwas ausgewogener, entsprach nach Meinung der an der Löschdiskussion beteiligten Wikipedianer aber nicht den so genannten „Relevanzkriterien„. Mit den Relevanzkriterien haben sich verschiedene Richtlinien und Kriterien einer scheinbar objektivierbaren „Relevanz“ herausgebildet, die teilweise skurrile Formen angenommen haben: So gibt es selbst eigene Richtlinien für Schachvereine und allen American-Football-Teams der dritten Liga wird pauschal eine angebliche Relevanz für Wikipedia bescheinigt. Das ist natürlich teilweise bürokratischer Blödsinn, aber zumindest ein Hilfsmittel für die Wikipedianer, die täglich mit dutzenden von neuen Artikeln zweifelhafter Qualität konfrontiert werden, während die Masse der bereits existierenden Artikel ebenfalls Aufmerksamkeit verlangt. Die Seite der Löschkandidaten, auf denen über Löschungen diskutiert wird, wird in der Wikipedia-Community wegen des leider häufig üblen Umgangstons auch „Löschhölle“ genannt – potentielle Autoren werden so von der Mitarbeit abgeschreckt (unschön war beispielsweise auch der unbedachte Sexismus in einer der Diskussionen). Beide Artikel wurden von Benutzern angelegt, die weder über eine Benutzerseite verfügen (wo sich kurz etwas über sich mitteilen könnten) noch vorher bereits existierende Artikel verbessert haben. Zudem wurden weder getAbstract noch BücherFrauen e.V. vorher wesentlich in anderen Wikipedia-Artikeln erwähnt.

Es lässt sich also folgendes festhalten: Neue Artikel haben es sehr schwer, wenn sich ihrer nicht jemand aus der Community (d.h. mit Wikipedia-Erfahrnung) annimmt – wenn dies nicht geschieht und in der „Löschdiskussion“ nur negative Beiträge kommen, ist das zwar für Außenstehende oft demotivierend – es hat aber (abgesehen von der unfreundlichen Diskussionskultur) auch sein Gutes: Es reicht nömlich nicht aus, einen Artikel zu schreiben und ihn dann in Wikipedia einzustellen. Wikipedia-Artikel müssen stattdessen in eine bestehende Struktur einpflegt und regemäßig gewartet werden. Wikipedia ist keine Sammlung von Artikeln sondern eine zusammenhängende Hypertext-Enzyklopädie. Das heisst, dass kein Artikel für sich alleine steht sondern jedes Thema in seinen Gesamtzusammenhang eingeordnet gehört.

Damit einer neuer Artikel „überleben“ kann, sollten deshalb erstmal relevante, bereits existierende Artikel aus seinem inhaltlichen Umfang recherchiert und verbessert werden. Dies hat auch noch einen anderen positiven Nebeneffekt: es finden sich leichter andere Autoren, die sich zum gleichen Thema interessieren und mit denen der neue Artikel gemeinsam verbessert werden kann, damit er den kriterien von Wikipedia genügt. Denn ein neuer Artikel, der von jemandem von Außen eingestellt wird und danach von niemandem anderen diskutiert und verbessert wird mag für sich allein genommen noch so gut sein – in Wikipedia bleibt er ein Fremdkörper. Dazu kommt das Problem, dass es äußerst schwierig ist, sachlich und ausgewogen über ein Thema zu berichten, das einem sehr am Herzen liegt – in Wikipedia wird deshalb ausdrücklich vor Eigendarstellung gewarnt.

Mein Ratschlag: Anstatt als Neulig sofort einen „eigenen“ Artikel einzustellen, ist es sinnvoller und konstruktiver, erstmal an den bestehenden Artikeln mitzuarbeiten oder jemanden zu finden, der schon dabei ist und ihn um Hilfestellung zu bitten. Zur Betreuung neuer Wikipedianer gibt es dazu seit kurzem ein so genanntes Mentorenprogramm. Eine andere gute Anlaufstelle um bereits aktive Wikipedianer für die Zusammenarbeit zu finden, sind die Themenportale.

Zum Begriff Referatedienst findet sich übrigens noch kein Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia. Einen Anhaltspunkt, wo das Thema in Wikipedia behandelt wird, findet sich mit Hilfe der Funktion Links auf diese Seite, die für jede Seite links unter „Werkzeuge“ verfügbar ist und leider viel zu selten benutzt wird.

3 Comments »

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  1. Hallo Jakob,

    einerseits sind die Ratschläge für die potentiellen Autoren neuer Artikel sicher richtig. Andererseits führt Wikipedia den Benutzer aber anders: „Dieser Artikel existiert noch nicht. Hilf Wikipedia, indem du ihn schreibst“ oder ähnlich lautet die Aufforderung, wenn man ein Suchziel nicht findet. Das heißt, Wikipedia selbst generiert die Enttäuschung quasi planmäßig. Vielleicht ließe sich da von den Wikipedianern was machen?

    Gruß, jge

    Comment by jge — 10. Mai 2007 #

  2. Danke für den Hinweis Bücherfrauen auf http://www.bit-wiki.de neu angelegt

    Comment by Markus M. — 10. Oktober 2007 #

  3. […] schnell fündig. Diskussionen über das Thema gibt`s hier und  Von Offenheit zum Kontrollwahn oder vom Löschen bzw. Löschung bei fehlender Relevanz wird […]

    Pingback by Schall und Rauch - Was ist Relevanz? — 15. Februar 2009 #

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