Wer Cloud sagt muss auch Bullshit sagen

27. März 2012 um 22:22 7 Kommentare

In den letzten beiden Tagen fand in Göttingen ein GBV-Workshop zur Entwicklung der Lokalsysteme statt. Lokale Bibliothekssyteme (LBS, wobei im GBV dabei das LBS der Firma OCLC/PICA gemeint ist) oder Library Management Systems (LMS) sind für die zentralen Geschäftsgänge einer Bibliothek verantwortlich, d.h. für Ausleihe, Erwerbung, Nutzerverwaltung etc.

Von üblichen LMS wird die Recherche-Funktion zunehmend in so genannten Discovery Interfaces abgekoppelt. Idealerweise sollten auch andere Funktionen entkoppelt werden (z.B. die Benutzerverwaltung als LMS-unabhängiges Identity-Management). In der Realität sind die einzelnen Module von unterschiedlichen Herstellern aber nicht frei kombinierbar, womit deren ganzes Gerede von Schnittstellen und Services Augenwischerei ist.

Eine weitere Form der Verdummung von Bibliotheken ist mir auf der Veranstaltung mit mit dem Begriff Cloud aufgefallen. Cloud-Computing ist ein Buzzword, das anscheinend vor allem zur Verschleierung verwendet wird. Wenn wie im Workshop davon die Rede ist, dass „Daten in der Cloud verschwinden“, „eine eigene Cloud geschaffen werden soll“ oder gar Forderungen nach einer „Deutschland-Cloud“ laut werden, sollte eher von Nebel als von Wolke gesprochen werden. Denn ohne Angabe, was genaue für Dienste in eine Cloud ausgelagert werden sollen, ist der Begriff praktisch bedeutungslos und kann z.B. durch „Computer“, „Netzwerke“, „Server“ oder „Hosting“ ersetzt werden.

Dabei gibt es im Cloud-Computing eine etablierte Unterscheidung von drei groben Arten von Diensten: Bei Infrastruktur as a Service (IaaS) geht es um virtuelle Server. IaaS ist nicht mehr und nicht weniger als eine Alternative dazu, sich physische Rechner in die eigenen Räume zu stellen. Ein Beispiel für einen IaaS-Anbieter ist Amazon mit seinem Dienst Elastic Cloud Computing (EC2). Bei Platform as a Service (PaaS) wird eine Umgebung für eigene Programme bereitgestellt. PaaS ist nicht mehr und nicht weniger als eine Alternative zum Selber-Installieren und -Konfigurieren von Webservern, Programmiersprachen und allgemeinen Standard-Programmkomponenten. Die verschiedenen PaaS-Anbieter wie zum Beispiel Heroku, dotCloud und OpenShift unterscheiden sich vor allem darin, welche Programmiersprachen unterstützt werden.

Während verschiedene Anbieter von IaaS bzw. von PaaS jeweils in etwa vergleichbar sind, sieht es bei der dritten Art von Cloud anderes aus: Software as a Service (SaaS) bedeutet dass eine bestimmte Software nicht selber installiert und aktualisiert, sondern von einem Anbieter als Black-Box bereitgestellt wird. Ein populäres Beispiel für SaaS ist Google Docs. Während man bei IaaS und PaaS die Anbieter ähnliches bieten und man zwischen ihnen wechseln kann, hängt bei SaaS der Funktionsumfang völlig vom Anbieter ab und ein Wechsel ist praktisch nicht möglich. Im Gegenzug muss man sich als Nutzer keine Gedanken darum machen, wo die Software installiert ist und wie Updates durchgeführt werden. Beide Fragen wurden aber komischerweise auf dem GBV-Workshop diskutiert.

Vereinfacht gesagt lassen sich die drei Cloud-Arten so darstellen: Mit IaaS gibt es keine einzelnen Rechner mehr, mit PaaS gibt es keine einzelnen Installationsumgebungen mehr und mit SaaS gibt es keine einzelnen Updates mehr. Vor allem der letzte Punkt ist nach meinem Eindruck vielen nicht klar: bei SaaS gibt es keine Versionen oder Updates sondern nur neue Funktionen die im laufenden Betrieb aktiviert werden. Dieser Luxus wird erkauft mit (neben Geld) einer Einschränkung des Funktionsumfangs und mit einer Abhängkeit vom Anbieter.

So wie ich die Teilnehmer des GBV-Workshops verstanden habe, wollen Bibliotheken gerne die Vorteile aller Arten von Clouds zusammen: keine lästige Installation, Wartung und Auszeiten von Hard- und Software, kein Verzicht auf bisherige Funktionen („alte Zöpfe“) und alles am Besten so, dass Anbieter gewechselt werden können. Wer Bibliotheken so etwas verkaufen möchte, hat aber entweder keine Ahnung oder er begeht mutwillige Täuschung. Software ist immer entweder Arbeit in Form von selber zu erbringender Programmierung und Konfiguration, oder sie ist in ihrem Funktionsumfang auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner beschränkt. Ich ziehe dabei die erste Variante vor, zumal Programmierung ja auch über Einstellungen, Skripte und Plugins möglich ist. Es bleibt aber eigene Programmierung – wer als Anwender davor zurückschreckt, muss sich mit Einschränkungen Abhängigkeiten und Auszeiten abfinden, sei es im Bibliothekswesen oder anderswo.