Was ist ein Publikationstyp?

7. April 2011 um 20:29 7 Kommentare

Im Rahmen der Weiterentwicklung von DAIA kam wiederholt der Wunsch auf, Exemplare als Netzpublikation zu kennzeichnen, so dass klar ist, dass man direkt über einen Link auf den Titel kommt. Uwe Reh wies in der Diskussion darauf hin, dass nach dem neuen Katalogisierungsstandard RDA eine „Manifestation“ (das entspricht etwa einer bestimmten Auflage oder Version einer Publikation) eine eindeutige Materialart haben muss (hier eine RDA-Ãœbersicht zur Manifestation [PDF]). Aber ist die Materialart das Gleiche wie ein Publikationstyp?

Das Konzept des Publikationstyps hat mich schon öfter etwas genervt wenn ich von irgend einer Anwendung oder einem Datenformat gezwungen wurde, für eine Publikation einen „Typ“ auszuwählen. In BibTeX gibt es beispielsweise 14 verschiedene Typen von „article“ über „proceedings“ bis „misc“. Daneben gibt es zahlreiche andere Listen von Typen. Also was ist das eigentlich, ein Publikationstyp?

In Wikipedia gibt es dazu bislang keinen Artikel, nur verschiedene Artikel zu einzelnen Literaturgattungen, Formen von wissenschaftlichen Arbeiten, oder allgemein Formen von Publikationen. Ãœber DBPedia ließen sich diese Listen auch zur Angabe von Publikationstypen verwenden. Das Glossar Informationskompetenz definiert Publikationstyp als „Form einer schriftlichen Veröffentlichung, von Zweck, Umfang und Inhalt bestimmt. In Katalogen und Datenbanken ist der Publikationstyp meist ein mögliches Suchkriterium, mit dem die Treffermenge bei einer Literatursuche formal eingeschränkt werden kann.“ Der Eintrag im Lexikon der Bibliotheks und Informationswissenschaft (LBI) erscheint gerade erst mit Band 9. Konrad Umlauf definiert Publikationstyp dort als “ Klasse von Publikationen mit mindestens einem gleichen Merkmal“ und weist angesichts überschneidender Begriffe wie „Dokumenttyp“, „Materialart“, „Editionsform“ und „Medientyp“ darauf hin, dass es „keinen einheitlichen Begriff von Publikationstyp“ gibt.

Wenn es jedoch keine einheitliche Definition von Publikationstyp gibt, ist der Zwang, dass eine Publikation genau einen Typ haben muss, um so unsinniger. Warum kann eine Publikation zum Beispiel nicht gleichzeitig Buch, Onlinepublikation und Dissertation sein? Oder gleichzeitig Mikroform, Onlinepublikation und Klaviernoten (die Links gehen auf die Klassifikationen von Publikationen aus RDA)? Sicher schließen sich einige der Typen aus, aber eben nicht alle. Sinnvoller wäre da eine Facettenklassifikation von Publikationstypen. Darauf werden sich die verschiedenen Anwender jedoch wahrscheinlich nie einigen werden. Stattdessen gibt es zahlreiche unabhängige Klassifikationen:

Und viele,viele weitere…

Vielleicht sollten wir einfach aufhören von Publikationstypen zu reden und uns stattdessen auf charakteristische Eigenschaften (Höhe, Breite, Umfang, Zielpublikum etc.) beschränken?

7 Comments »

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  1. Die RDA facettieren eigentlich ein bisschen, vgl. dazu die in MARC21 zur RDA-Unterstützung eingeführten Felder zu Content/Media/Carrier Type (Simultane Vergabe mehrerer Deskriptoren zu einer Klasse ist auch möglich, es gibt also selbst bei Einschränkung auf eines von den dreien nicht unbedingt „den“ Typ):

    http://www.loc.gov/marc/marbi/2009/2009-01-2.html

    http://www.loc.gov/marc/bibliographic/bd336.html

    http://www.loc.gov/marc/bibliographic/bd337.html

    http://www.loc.gov/marc/bibliographic/bd338.html

    http://www.loc.gov/marc/RDAinMARC29.html

    „Publikationstyp“ (sofern das überhaupt je scharf definiert war) ist auch nur ein Bewohner des grossen Zoos der allgemeinen und speziellen Materialbenennungen, Materialarten im Kollationsvermerk und der Genrebezeichnungen, formalen Sachtitelergänzungen sowie Formschlagworte. Um nur die Ansätze aus den diversen Sub-Communities des Bibliothekswesen im engeren Sinne zu nennen, in benachbarten Bereichen wie Musikalien und Autographen gibt es darüber hinaus andere Ansätze (Herstellungs- oder Verwendungszweck, Genese, …) zur Typisierung.

    Comment by Thomas Berger — 8. April 2011 #

  2. Hallo Jakob,

    danke für diesen Beitrag. Hier meine two cents um Mitternacht:

    Du zeigst auf, dass dieser Bereich eine klarere Begrifflichkeit verdient hat, allerdings nicht unbedingt auf der Seite der kontrollierten Vokabulare, sondern eher auf Seiten unseres Sprechens über sie.

    Ich gebe dir im Prinzip recht, dass sich viele der Typen, die du hier alle unter dem Etikett „Publikationstyp“ subsumiert hast (denn für das jeweilige Schema selbst wird dieser Ausdruck ja nicht immer benutzt), nicht gegenseitig ausschließen. Aber wo gibt es denn bitte diesen Zwang „Zwang, dass eine Publikation genau einen Typ haben muss“? Ich sähe kein Problem darin, die BibTex-Typen mit der RDA-Extent-Klassifikation zu kombinieren. Und auch die DCMI-Types sind nicht owl:disjointWith untereinander…

    Für die RDA-Extent-Klassifikation mag zutreffen, dass keine zwei gleichzeitig benutzt werden können, weil sie eben einfach disjunkt sind, d.h. die verschiedenen Materialtypen sich gegenseitig ausschließen (Klaviernoten/Piano Score gehören übrigens nicht dazu, sondern zu „Extent of Notated Music“). Für mich handelt es sich dabei um eine in sich konsistente Klassifikation von Datenträgern oder Speichermedien.

    Und auch die BibTex-Typenklassifikation macht klar, dass etwa jedes „inproceedings“ gleichzeitig auch ein „article“ ist, dass dieser Begriff jenen einschließt. Bei der Auswahl eines Entry-Types sollte man dann folglich den spezifischeren nehmen, um maximalen Informationsgehalt zu bekommen. (Nichtsdestotrotz lassen sich gerade in dieser Klassifikation Mängel finden, was ihrer breiten Verwendung keinen Abbruch tut.)

    Ich kenne bei weitem nicht alle von dir genannten „Publikationstypen“-Klassifikationen, allerdings scheinen mir eben einige davon durchaus sinnvoll, in sich konsistent und oft auch mit anderen kombinierbar zu sein.

    Ein wenig Begriffsklärung könnte in diesem Bereich sicher nicht schaden, diese deutest du aber allenfalls an. Wichtige Fragen sind: Was sind denn die verschiedenen Formen der Klassifikation? Für welche Zwecke sind sie gemacht? Welche Eigenschaften und Relationen drücken sie aus?

    Hier deutet sich mir ein wichtiger Unterschied an:
    Manche Klassifikation verweist auf Eigenschaften einer Ressource, wie das Medium ihrer Realisierung (Audio, Video, Text) oder die Art des Datenspeichers (Mikrofilm, Dia, gedrucktes Buch etc.). Andere Klassifikationen verweisen auf Relationen einer Ressource zu anderen Entitäten (ihren Kontext). (Z.B. macht „masterthesis“ oder „PHD“ deutlich, dass Relationen zu einer Institution (Fakultät), Personen (neben Autor auch dem/den Prüfer(n)), einer Prüfungsordnung usw. bestehen oder proceedings setzen eine Relation zu einer Veranstaltung, einem Veranstalter, einem Veranstaltungsdatum etc. voraus.)

    Eine genauere Betrachtung der unterschiedlichen Entstehungskontexte, der Ziele und Zwecke dieser Klassifikationen wäre sicher auch aufschlussreich…

    Ciao
    Adrian

    Comment by Adrian — 8. April 2011 #

  3. Hallo Adrian,
    bei den BibTeX Entry Types ist „inproceedings“ mitnichten ein spezifischerer Begriff zu „article“, sondern die beiden Dokumenttypen schließen sich (fast) immer gegenseitig aus: „articles“ müssen nämlich in einem „journal or magazine“ stehen, d.h. eine Ãœberschneidung zwischen den beiden Typen gibt es nur, wenn der Tagungsband zugleich eine Zeitschriftenausgabe ist. Die BibTeX-Spezifikation ist an dieser Stelle mal wieder etwas mißverständlich formuliert: In der Beschreibung beider Types ist von „article“ die Rede; ein Bibliothekar würde eher von „unselbständigen Werken“ sprechen. Ansonsten – wie du schon gesagt hast – kommt es immer auf den Zweck an, und der liegt bei BibTeX ja eigentlich im Zitieren. Dafür taugen die Entry Types einigermaßen, für andere Zwecke jedoch nur bedingt.
    Gruß,
    Martin

    Comment by Martin de la Iglesia — 8. April 2011 #

  4. […] tun? Kann eine Publikation gleich mehreren Publikationstypen zugeordnet werden? Diesen Fragen ging Jakoblog in der letzten Woche […]

    Pingback by Gelesen in Biblioblogs (14.KW’11) « Lesewolke's Blog — 11. April 2011 #

  5. […] Zwangsläufig sieht man sich mit Fragen wie diesen konfrontiert: Ist die Einführung eines neuen Publikationstyps „(Forschungs-)Datensatz“ ein gangbarer Weg? Welche Informationen  sind  in welcher […]

    Pingback by Nachlese zum Bibliothekartag 2011 und zum frei-tag- – Vom Einfluss des Aufbaus virtueller Forschungsumgebungen auf die Literaturverwaltung und die (mögliche) Rolle der Bibliotheken « Literaturverwaltung & Bibliotheken — 19. Juni 2011 #

  6. […] I wrote about the difficulties to define “publication types” – it’s the same problem: there is no disjoint set of […]

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