Einführung in die Bibliometrie
16. April 2009 um 23:51 5 KommentareVor Kurzem hat Frank Havemann vom Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU Berlin eine umfassende Einführung in die Bibliometrie veröffentlicht. Das 66-seitige Werk steht unter der CC-BY Lizenz zur Verfügung, so dass es gut weiterentwickelt und für eigene Texte verwendet werden kann. Zur Einarbeitung ins Thema bietet sich zum Beispiel an, parallel zur Lektüre die entsprechenden Artikel in Wikipedia zu verbessern. Die Lizenz CC-BY ist mit der GFDL kompatibel, mit dem anstehenden Lizenzwechsel werden zusätzlich auch CC-BY-SA-Werke in Wikipedia übernommen werden können. Das bisher einzige deutschsprachige Einführungswerk zur Bibliometrie von Rafael Ball und Dirk Tunger ist übrigens auch online verfügbar. Warum keines der beiden Werke mit dem SWD-Schlagwort „Bibliometrie“ verknüpft ist, wird wohl ein Rätsel bleiben – vielleicht sollte man die Sacherschließung besser gleich ganz den Nutzern überlassen und dann mit bibliometrischen Verfahren untersuchen, was die Nutzer beim Social Tagging so treiben?
Bibliometrische Verfahren werden unter Anderem in der Wissenschaftsforschung und zur Evaluation von Forschungsleistungen eingesetzt. Natürlich ist es sehr fragwürdig, Qualität durch quantitative Verfahren messen zu wollen – um so wichtiger ist ein Verständnis für bibliometrische Methoden und Grundlagen, welches mit dem Einführungswerk vermittelt wird.
Disclaimer: Ich habe selber bei Frank Havemann studiert und meine Abschlussarbeit zu Bibliometrischen Untersuchungen an Wikipedia [PDF] geschrieben, was mein Urteil möglicherweise beeinflusst.
So funktioniert die Informationsgesellschaft
14. Februar 2009 um 02:37 6 KommentareNachdem letzte Woche jemand einen zusätzlichen Vornamen in den Wikipedia-Artikel zu Herr Guttenberg eingetragen hatte, übernahmen zahlreiche Journalisten den Namen und lieferten ein schönes Beispiel für mangelnde Recherche, fehlende Quellenangaben und Relevanz (siehe u.A. die Zusammenfassung bei Johannes Wilhelm Moskaliuk und bei Stefan Wilhelm Niggemeier). Die Titanic hat den Vorgang schon vor einigen Wochen anschaulich illustriert ; bald kann ich eine Kategorie Wikipedia & Titanic anlegen).
Dass nicht nur Wikipedia-Mitarbeiter und Journalisten schludern, sondern grob unnötige Fehler auch im Wissenschaftsbetrieb vorkommen, zeigt der Fall von Mohamed El Naschie. Der Mensch führte jahrelang ein Elsevier-Journal, in dem er Hunderte von eigenen Artikeln mit Unsinn veröffentlichte. Wie zuvor die Bogdanov-Affäre, die Sokal-Affäre oder der SCIgen Paper Generator (siehe dazu auch hier) zeigt der Fall Nashie, wie korrupt und verkommen das herrschende Wissenschaftssystem zuweilen ist.* Da einige Kommentare zur Aufdeckung des Falls vermutlich wegen anwaltlichem Druck entfernt wurden, verweise ich auf den etwas unübersichtlichen El Naschie Watchblog und auf die Zusammenstellung bei Archivalia.
* Dabei meine ich nicht die wissenschaftliche Methode – auch sie hat ihre Blinden Flecken – sondern den institutionellen Wissenschaftsbetrieb sowie fehlende Quellenangaben, Closed Access und intransparente, geschlossene Review-Strukturen im Allgemeinen
P.S: Eine weitere Darstellung der Krankheit des Wissenschaftssystem (gefischt aus der Biblioblogosphäre) führen Eric Steinhauer und die Steuereule an: Joachim Wolf: Der schlaue Weg zur Publikation, in: FAZ vom 21. Januar 2009 (als PDF verfügbar)
Zusammenarbeit zwischen Wikimedia-Projekten und Wissenschaften
20. Oktober 2008 um 20:08 Keine KommentareÜber Möglichkeiten der Kooperation zwischen den Wissenschaften und Wiki(media)projekten haben auf der Tagung „Neue Formen wissenschaftlicher Zusammenarbeit durch kollaborative Medien†vom 9. bis 12. Oktober Teilnehmer aus dem akademischen Bereich und aus verschiedenen Wikimedia-Projekten diskutiert. Die Ergebnisse liegen nun in Form von sechs Empfehlungen vor:
• Wikipedia-Sprachversionen für Nicht-Standard-Sprachen oder Dialektbündel sowie für bedrohte oder ausgestorbene Sprachen sollten kritisch hinterfragt werden. Stattdessen sollen Textkorpora mit Hilfe von WikiSource geschaffen werden, die diese Sprachen dokumentieren können.
• Es sollen Möglichkeiten geschaffen werden, in einzelnen Wikimedia-Projekten die Autorenschaft deutlicher kenntlich zu machen.
• Die meisten Wikimedia-Projekte verfügen bereits über Prozesse zur Qualitätssicherung. Diese sollen stärker transparent gemacht und benutzerfreundlich dargestellt werden.
• Es wird empfohlen, über ein neues Konzept für die Strukturierung des Bereichs wissenschaftlichen Lehrmaterials und Publikationen nachzudenken. Es gibt sowohl Überschneidungen im Bereich Wikiversity und Wikibooks als auch eine Lücke im Bereich wissenschaftlicher Fachaufsätze.
• Die Zusammenarbeit zwischen Wikipedia-Projekten und Expertenwikis bzw. Spezialprojekten soll koordiniert und gefördert werden.
• Für Wikisource soll die qualitätsorientierte, wissenschaftliche Transkription und Edition auf der Grundlage von bereitgestellten Digitalisaten Fokus sein. Wir regen ein internationales Treffen zum Erfahrungsaustausch zu Wikisource an.
Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten (aber auch Hindernisse) der Zusammenarbeit zwischen Wikimedia-Projekten und den Wissenschaften konnten nur einige Bereiche angeschnitten werden. Beim nächsten Mal könnte beispielsweise sollte das Thema „Wikimedia-Projekte in der Lehre“ ausgiebiger behandelt werden. Zunächst einmal ist es wichtig, sich gegenseitig kennenzulernen und Missverständnisse auf beiden Seiten auszuräumen. Dabei können weitere Treffen zu speziellen Themen helfen. Zum Beispiel könnte zu Wikisource eine Veranstaltung organisiert werden, die vergleichbar mit dem Berliner Workshop zu „digitalen Editionen“ verschiedene Projekte zusammenbringt. Die Empfehlungen zu sechs verschiedenen Aspekten der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaften und Wikiprojekten stehen samt Erläuterungen erstmal offen zur Diskussion.
Stand der gesichten und geprüften Versionen in Wikipedia
1. Juli 2008 um 19:18 2 KommentareIn der deutschsprachigen Wikipedia sind nun seit fast zwei Monaten die gesichteten und geprüften Versionen aktiviert (siehe Ankündigung) und es sind schon mehr als die Hälfte der über 780.000 Artikel als „gesichtet“ markiert. Damit ist sichergestellt, dass ein Leser der Wikipedia bei Aufruf eines gesichteten Artikels keine mutwilligen Verunstaltungen zu Gesicht bekommt – zumindest sofern diese für regelmäßige Wikipedia-Autoren offensichtlich erkennbar sind. Noch nicht gesichtete Bearbeitungen sind auch weiterhin sofort verfügbar und zwar über den Link „zur aktuellen Version“ – schließlich ist Wikipedia eine offene Enzyklopädie, an deren Verbesserung sich jeder beteiligen darf; daran ändert sich auch mit den gesichteten und geprüften Versionen nichts. Und mit etwas Geduld werden die eigenen Bearbeitungen auch gesichtet.
Die deutschsprachige Wikipedia ist innerhalb der internationalen Wikimedia-Community so etwas wie ein Testobjekt und so sind auch schon viele gespannt, wie die neuen Funktionen zur Verbesserung beitragen. Auf der Wikimania wird Philipp Birken dazu einen Vortrag halten und das Englische Wikibooks-Projekt bereitet sich schon darauf vor, die neue Funktion in etwas anderer Konfiguration einzusetzen.
Während die gesichteten Versionen einen kleineren Mehrwert bieten, soll mit den geprüften Versionen die Verlässlichkeit und Qualität noch stärker verbessert werden. Dazu sollen Experten eine Artikelversion begutachten und als „geprüft“ markieren (), falls der Artikel „keine sachlich falschen Aussagen oder verfälschenden Lücken enthält“. Gefragt sind also „Person[en], die über ein überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem oder mehreren bestimmten Fachgebieten oder über spezielle Fähigkeiten [verfügen]“ (so steht es in einer gesichteten Version in Wikipedia – ob die Aussage stimmt, ist aber eine andere Frage, ich bin keine Experte zum Thema „Experte“ ;-). Leider scheint es in Wikipedia nicht genügend Personen mit Fachkompetenz zu geben, denn bislang wurde zwar sehr viel geredet aber wenig getan: Ganze vier Beispiele von Artikelversionen und Prüfern gibt es bisher – und bislang auch nur als Vorschlag.
Dass die Einführung der geprüften Versionen so lange dauert, liegt auch daran, dass es viele verschiedenen Meinungen und Vorstellungen dazu gibt. So meinen zum Beispiel einige, dass alles 100%ig „belegt“ sein muss – ein hoffnungsloses Unterfangen. Es sollte reichen, wenn der Artikel dem „Stand der Wissenschaft“ entspricht (übrigens ein juristischer Begriff) – absolute Sicherheit gibt es nirgendwo. Andere Wikipedianer können sich nicht vorstellen, wie das mit der Prüfung funktionieren soll. Genauso wurde aber früher über die gemeinsame und offene Erstellung von Enzyklopädischen Artikeln in Wikipedia gedacht.
Am Besten macht man sich selber ein Bild von den geprüften Versionen, indem man einen einfachen Artikel aus einem Gebiet aussucht, in dem man sich selber als Experte bezeichnen würde, und geht den Artikel dann mal Satz für Satz und Aussage für Aussage durch. Die Prüfung sollte dokumentiert und dann unter Wikipedia:Geprüfte Versionen/Beispiele eingetragen werden.
Ich habe zuerst mit dem Artikel über Blätter und innere Knoten in der Graphentheorie angefangen und bin leider sofort auf eine „verfälschende Lücke“ gestoßen. Der Artikel lautete
Ein Blatt ist in der Graphentheorie ein Knoten in einem Baum, der mit nur einem Nachbarn verbunden ist. Ein Blatt hat also immer den Grad 1. Die Knoten, die in einem Baum keine Blätter sind, werden innere Knoten genannt.
Wenn man mal genauer überlegt, wird aber die Wurzel eines gerichteten Baumes oft weder als Blatt noch als innerer Knoten bezeichnet und auch ein isolierter Knoten (ein Baum, der nur aus einem Knoten besteht) passt nicht in diese Definition. Anstatt den drei Sätzen den Prüfstatus zu verleihen (bzw. vorzuschlagen), habe ich erstmal ausgiebig recherchiert und Quellen gesichtet, um den Artikel zu korrigieren. Hier zum Beispiel die erste Darstellung von Bäumen in einer graphentheoretischen Arbeit (Cayley, 1857):
Bei der versuchten Prüfung habe ich viel über Recherchieren, Digitalisate und Mathematik gelernt – aber als geprüft würde ich den Artikel nicht bezeichnen. Beim zweiten Versuch mit dem Artikel Normdatei war es dann einfacher.
Alle Experten, die sich in Wikipedia bisher zurück gehalten haben sollten sich nun vielleicht mal an der Prüfung von Artikeln versuchen. Ich habe schon mehrere Wissenschaftler gefragt und das Feedback war immer relativ positiv. Was fehlt ist nur eine Redaktion, die zwischen der Wikipedia und den Experten vermittelt. Natürlich sind auch Experten gefragt, die bereits jetzt innerhalb der Wikipedia aktiv sind – wer oder was ein guter Experte ist, und wie man sie finden und bewerten kann, wird sich erst in der Praxis zeigen!
Review in Wikipedia mit markierten Versionen
2. April 2008 um 01:20 4 KommentareDie als „stabile Versionen“ diskutierte Erweiterung von Wikipedia um ein System zur Begutachtung nähert sich mühsam aber sicher ihrer Vollendung (siehe Ankündigung im Wikimedia-Deutschland-Blog und Beitrag von Tim). Zur Zeit kann die neue Funktion in einem Testwiki ausprobiert werden. Konstruktive Bugreports, Vandalismus-Tests und vor allem Hilfe bei der Verbesserung der Usability (!) sind gerne willkommen. Danach wird das System – möglichst noch diesen Monat – zunächst in der deutschsprachigen Wikipedia probeweise eingeschaltet. Und darum geht es:
Mit der neuen Funktion „markierte Versionen“ können einzelne Versionen eines Artikels markiert werden. Die Markierung als gesichtet zeigt an, dass kein Vandalismus vorhanden ist. Wenn zusätzlich jeweils zuerst die letzte gesichtete Version eines Artikels angezeigt wird, sollten offensichtlicher Blödsinn und Quatscheinträge in Wikipedia merklich abnehmen – allerdings ist es für Neuautoren möglicherweise abschreckend, wenn ihre Verbesserungen nicht sofort sichtbar sind.
Die Markierung als geprüft geht über eine gesichte Version hinaus: Sie stellt ein Qualitätsurteil eines fachkundigen Prüfers dar. Ein Prüfer gibt mit der Markierung als geprüft bekannt, dass die betreffende Artikelversion keine falschen Aussagen oder verfälschende Lücken enthält. Damit nähert sich Wikipedia dem traditionellen Review-System in den Wissenschaften an. Genauer gesagt handelt es sich um ein Offenes Peer-Review-Verfahren. Bisherige Peer-Review-Verfahren stoßen immer mehr an ihre Grenzen – zur Ãœberwindung dieser Krise könnten Wikis helfen.
Was ich besonders bemerkenswert finde: Im Unterschied zu den bereits jetzt in Wikipedia vorhandenen Review-Verfahren (lesenswerte Artikel, exzellente Artikel) treten bei der Prüfung von einzelnen Artikelversionen nicht das Kollektiv der „Wikipedianer“ in Erscheinung, sondern einzelne Personen. Wenn jemand einen Artikel prüft, muss er mit seiner vollen Reputation dafür geradestehen, dass keine Fehler übersehen wurden. Bei Wikipedia-Autoren ist das in geringerem Maße zwar auch schon der Fall; für Außenstehende ist jedoch in der Regel undurchschaubar, was ein Autor zu einem konkreten Wikipedia-Artikel geleistet hat.
Ich befürchte nur, dass den meisten Lesern aufgrund fehlender Informationskompetenz sowieso egal ist, wer für welche Inhalte in Wikipedia verantwortlich ist (nämlich die konkreten Autoren und Prüfer und nicht ein anonymes Kollektiv oder ein Herausgeber!). Die meisten Menschen wollen nämlich beim Erwerb von „Wissen“ nicht selber denken, sondern einer Autorität vertrauen, die sagt, was richtig und was falsch ist. Das ist dann aber nicht das Problem der Wikipedia sondern ein Problem der Massenverdummung unserer Gesellschaft und ihren Teilnehmern, die lieber in selbstverschuldeter Unmündigkeit verharren, anstatt eigenes Urteilsvermögen zu gebrauchen.
Ich bin gespannt, wie sich die markierten Versionen in der Praxis entwickeln werden und wie sich die offen-anarchische Wikipedia-Community und das elitär-akademische Wissenschaftssystem weiter aufeinander zubewegen – im Guten wie im Schlechten.
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