Fundstücke aus der Gender-Blogosphäre
2. Juni 2010 um 01:34 13 KommentareDie Mädchenmannschaft macht mit ihrer Rubrik „neues aus den Blogs“ anhand der deutschsprachigen feministischen Blogosphäre vor, wie Vernetzung funktionieren kann – ein Thema, das in der deutschsprachige Biblioblogosphäre schon seit mehreren Wochen diskutiert wird.
Oft wichtiger (und anstrengender) als Diskutieren ist jedoch Machen – das versucht die „2.0-Szene“, zu der ich irgendwie dazugehöre – den „Offlinern“ schon seit Jahren beizubringen. Peter Kruse stellte in einem vielbeachten Vortrag im April auf der re:publica jedoch fest, dass die Trennung zwischen Onlinern und Offlinern irreführend ist. Stattdessen geht es um verschiedene Werte und Netzwerke (aber schaut euch den Vortrag lieber selber an).
Eine andere, tatsächlich auf Wertevorstellungen beruhende, Trennung ist die zwischen Geschlechtern: und zwar das „soziale oder psychologische Geschlecht einer Person“ (gender). Dem Artikel über Bloggen und Gender von FxNeumann gestern entnehme ich eine mögliche Erklärung, warum es zwar mehr bloggende Frauen gibt, diese aber weniger wahrgenommen werden. Wie Dorothee Markert beschreibt, unterscheidet die italienische Journalistin Marina Terragnis zwischen „primärer Politik“ und „sekundärer Politik“: Primäre Politik bedeutet, etwas konkretes für das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft zu tun, und Sekundäre Politik bedeutet, darüber zu reden wie die Gesellschaft funktionieren sollte. Die sekundäre Politik ist jedoch das was gemeinhin als Politik verstanden wird: Menschen (vor allem Männer) sagen wie es laufen sollte und versuchen an Machtpositionen zu kommen, damit sie dann irgendwann mal etwas bewirken können. Möglicherweise bewirken viele Frauen lieber direkt etwas, oder platt ausgedrück: Männer laber rum – Frauen machen einfach.
Dieser Spruch ist natürlich quatsch, aber – um es mit Antje Schrupp auszudrücken, auf deren Beitrag ich eigentlich hinauswollte: Das Gegenteil ist genauso falsch! Klischees über Frauen und Männer sind zwar unterhaltsam aber eben Klischees, die sich jeder/jede so biegt wie sie ihm/ihr am besten passen. Dabei biegen Menschen ihre Klischees jedoch nicht selber sondern sie werden gebogen – von der Gesellschaft. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sie findet sich zum Beispiel bei Focault und Adorno (auf die ich lieber ständig verweise statt sie selber zu lesen. Kann mir jemand eine bekannte Frau nennen, die ich stattdessen verwenden kann? Solange Frauen weniger klar als [intellektuelle] Autoritäten anerkann werden, ist das schwierig).
Der Gender-Szene ist jedenfalls zu verdanken, die Konstruiertheit von Rollenbildern wie Männlich und Weiblich aufzuzeigen. Das klingt jetzt sicher völlig unverständlich, also lest euch Antje Schrupps 15 Thesen zu Feminismus und Post-Gender durch. Hier die erste und die letzte These:
1. Der wichtigste Punkt rund um das Thema „Gender“ hat nichts mit Frauen zu tun, sondern ist die Kritik an der Sich-zur-Normsetzung des Männlichen. Frauen kommen allerdings insofern ins Spiel, als Feministinnen die ersten waren, die dieses Sich-zur-Norm-Setzen des Männlichen hinterfragt haben.
15. Diese Praxis ist aber nicht auf Frauen beschränkt. Auch Männer und alle anderen Geschlechter können – und sollten – sich daran beteiligen. Denn es geht nicht um Lobbyarbeit für Fraueninteressen, sondern um eine Welt, in der gutes Leben für alle Menschen möglich ist.
Als Individualanarchist interessiert mich das Thema Gender vor allem in Bezug auf den Freiheitsbegriff. Schrupp schreibt:
8. Eine freiheitliche Politik besteht nicht in der Behauptung einer (immer nur abstrakt denkbaren) Gleichheit der Menschen, sondern in kreativen und dem jeweiligen Kontext angemessenen Wegen, mit der (real vorhandenen) Ungleichheit der Menschen umzugehen, ohne dass daraus Herrschaft entsteht.
Hier liegt der Hund die Katze der Hase in der Pfanne auf dem Dach im Pfeffer begraben: Es reicht nicht aus, einfach zu behaupten, das Geschlecht spiele keine Rolle, weil wir alle Gleich sind (siehe Piratenpartei) oder der Staat solle sich aus allem heraushalten, weil wir ja alle selber entscheiden können auf was wir uns einlassen (siehe FDP). Wer danach handelt, handelt reaktionär und arbeitet für die Seite der Herrschenden. Denn wie Anatole France schreibt:
Das Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.
Damit komme ich auch zum letzten Punkt dieses Artikels: Heute ist Internationaler Hurentag! Statt aus diesem Anlass die eigenen Vorurteile (Gesellschaft!) gegenüber Sexarbeitern von sich zu geben oder zu fordern, dass dringend etwas getan werden müsse (sekundäre Politik) ist dieser Tag vielleicht mal ein Anlass, sich mit der konkreten Lebenssituation von Huren auseinanderzusetzen. Kompetente Ansprechpartner dafür sind Selbsthilfeorganisationen wie Hydra e.V. in Berlin, Madonna e.V. in Bochum und Doña Carmen e.V. in FFM.
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