Aktuelle Diskussionen zur informationswissenschaftlichen Fachkommunikation
1. September 2010 um 12:42 2 KommentareIn der deutschsprachigen Biblioblogosphäre wird seit einigen Monaten verstärkt und gut mit Fakten und Argumenten unterlegt die Informationswissenschaftliche Fachkommunikation diskutiert. Ich möchte hier nur auf das neue Blog beyondthejournal.net von Lambert Heller und Heinz Pampel sowie auf den Diskussionsthread Bibliothekarische Fachkommunikation 2010 verweisen. Leider ist der Diskurs bislang sehr von Männern geprägt und wesentliche Stimmen fehlen. Ich denke, dass unter Anderem Wortmeldungen aus der Richtung von LIBREAS und von der Zukunftswerkstatt die Diskussion um weitere Gesichtspunkte bereichern dürften. Es fehlen aber auch Stimmen aus der analogen (gedruckten) Welt. So einfach lässt sich die Frage, wie und wo Fachleute aus Informationseinrichtungen kommunizieren, und was dabei wissenschaftliche Fachkommunikation ist, nämlich nicht beantworten.
In der vorigen (Heft 07-08/2010) und aktuellen Ausgabe (Heft 09/2010) der Fachzeitschrift Password ist ein Artikel erschienen, der sich kritisch mit der Informationswissenschaft und ihrer Publikationspraxis auseinandersetzt. Dazu wird exemplarisch auf die Proceedings des 11. Internationalen Symposions für Informationswissenschaft (ISI2009) eingegangen. Die Vortragsfolien der ISI2009 sind auf der Tagungshomepage unter CC-BY-SA verfügbar, während der Tagungsband nur auszugsweise und verstreut auf verschiedenen Repository-Servern zu finden ist. Dass es das deutschsprachige Bibliotheks- und Informationswesen bis heute weder geschafft hat, seine Publikationen direkt, noch die dazugehörigen Metadaten in geeigneter Weise ins Netz zu bringen, sagt schon einiges über ihren Zustand aus.
Auch der Artikel (bzw. die Artikelserie) „Kritik der Informationswissenschaft. Anmerkungen eines interessierten und besorgten Bürgers mit Common Sense“ des Password-Chefredakteurs Willi Bredemeier (@WilhelmHeinrich bei Twitter) ist nicht bzw. für Abbonnenten bislang nur teilweise online frei verfüg- und verlinkbar. Dies mag ein Grund sein, weshalb er in der Biblioblogosphäre noch nicht rezipiert wurde. Bredemeier verortet die Informationswissenschaft in den Geisteswissenschaften, wo ein additiver Erkenntnisgewinn selten möglich ist. Stattdessen sollte die Informationswissenschaft nach ihrer pragmatischen Relevanz bewertet werden. Angesicht der sich momentan technisch und gesellschaftlich vollziehenden Wandels wäre eine Relevanz der Informationswissenschaft eigentlich gegeben. Leider wird die (bzw. zumindest die deutschsprachige?) Informationswissenschaft ihrem eigenen Anspruch jedoch nicht gerecht: sie bringt – wie Bredemeier kritisiert – vor allem irrelevante und triviale Ergebnisse hervor, zerschnipselt Themen zu Mini-Fragestellungen, beschränkt wissenschaftliche Veröffentlichungen auf einzelne Forschungsphasen, produziert wissenschaftliche Beiträge als Nebenprodukt teilweise interessengeleiteter anderer Aktivitäten und besitzt keinen funktionierenden Peer-Review-Prozess.
Wer über seine Einrichtung die Password abbonniert hat sollte sich die Artikel durchlesen. Vielleicht kann sich Herr Bredemeier ja dazu durchringen seine Beitrag zur Diskussion um die informationswissenschaftliche Fachkommunikation auch online frei verfügbar und dauerhaft verlinkbar zu machen – am besten auf einem Dokumentenserver. Sein ebenfalls empfehlenswerter Artikel Zur mangelnden Funktionsfähigkeit von Fachinformations- und Fachzeitschriftenmärkten ist auf seiner Homepage einsehbar und bietet eine gute Ergänzung zu Lambert Hellers Blogartikel „Status Quo: Fachblogs — „Amateure“ erschließen das Web als Informationsraum„.
Das Internationales Symposium für Informationswissenschaft 2011 finden übrigens vom 9. bis 11. März 2011 in Hildesheim statt, der Call for Papers läuft noch bis zum 25. Oktober. Hoffentlicht nimmt das Programmkommitee Bredemeiers Kritik am Programm der vorigen Tagung zumindest zur Kenntnis.
Deutschsprachige BID/LIS-Wikis – eine Bestandsaufnahme
18. Juli 2009 um 13:48 1 KommentarAngeregt durch eine Diskussion über Fachcommunities auf dem BibCamp 2009 habe ich recherchiert, welche deutschsprachigen Wikis es für den Informations- und Dokumentationsbereich in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt.
Ein Wiki ist zwar nicht das Gleiche wie eine Community, aber es kann sowohl ein hilfreiches Werkzeug für eine Community sein als auch der Keim, um den sich eine Community bildet. Weitere Werkzeuge und Sammelpunkte von (Online-)Communities sind unter Anderem Foren, Mailinglisten und allgemeine Soziale Netzwerke á la StudiVZ, Facebook und MySpace. Die dafür eingesetzte Software wird allgemein auch als Soziale Software bezeichnet. Ein allgemeiner Irrtum in Bezug auf Online-Communities ist, dass sie sich allein mit der richtige Software schaffen ließen – dabei entstehen Communities meiner Erfahrung eher dadurch, dass sich Personen mit einem gemeinsamen Interesse finden, miteinander kommunizieren und zusammentun. Bei Wikipedia ist das gemeinsame Interesse zum Beispiel die Idee, eine Enzyklopädie zu erstellen, während bei Last.fm ganz klar die Musik im Zentrum steht. Nicht für alle Interessen und Communities sind Wikis das beste Mittel – Wikis lassen sich allerdings sehr flexibel einsetzen. Eine gute Einführung in Wikis bieten die Lektion 11 und Lektion 12 des Online-Kurs „13 Dinge„. Ausführlichere Erfahrungsberichte gibt es unter Anderem in der aktuellen Ausgabe (4/2009) der Information – Wissenschaft & Praxis (IwP) mit dem Schwerpunkt Soziale Software und Wikis. Die IfW ist leider weder Open Access noch vernüftig z.B. in DBLP erschlossen, so dass ich hier auf nichts verlinken kann: #fail
Aber zurück zu den deutschsprachigen Wikis aus dem und für den Bereich Bibliothek, Information, Dokumentation (BID) bzw. Library and Information Science (LIS): Das internationale LIS-Wiki enthält eine Linksammlung anderer Wikis in Deutsch. Eine ähnliche Ãœbersicht enthält das MuseumsWiki unter Wikis für Bibliotheken. Geschlossene Wikis, die nicht zur Mitarbeit einladen – wie zum Beispiel das Wiki der Universitätsbibliothek Rostock, habe ich hier ausgenommen, zumal viele davon als Unternehmenswikis nicht öffentlich zugänglich sind. Mit dem ErwerbungsWiki und dem GBV-Wiki gibt es zwei Grenzfälle: das Erwerbungswiki der Expertengruppe Erwerbung und Bestandsentwicklung im Deutschen Bibliotheksverband erlaubt zwar die freie Anmeldung, aber die Hauptseiten können nur von einer Redaktion bearbeitet werden. Im Wiki des Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV) werden Benutzeraccounts nur auf Anfrage erteilt (z.B. bei mir unter jakob.voss öt gbv.de); grundsätzlich kann sich aber jedoch, der einmal dabei ist, an allen Inhalten beteiligen. Ebenfalls einen eher eingeschränkten Nutzerkreis hat das Wiki des Arbeitskreis fuer Information Stuttgart (AKI-Wiki). Es bleiben fünf allgemeine, offen zugängliche, deutschsprachige BID/LIS-Wikis:
Das Netbib-Wiki sammelt Informationen rund um die Themen des netbib Weblogs.
Das Buecherei-Wiki sammelt Informationen für die Arbeit in öffentlichen Bibliotheken.
Das B.I.T. Wiki ist ein Projekt der Fachzeitschrift B.I.T. online und von Informationsmanagement-Studierenden an der Hochschule der Medien in Stuttgart (HdM).
Das InfoWissWiki wird von der (inzwischen auslaufenden) Fachrichtung Informationswissenschaft an der Uni Saarbrücken betrieben.
Schließlich beinhaltet auch die deutschsprachige Wikipedia eine Vielzahl von Artikeln aus dem Bereich Bibliothek, Information, Dokumentation.
Das Netbib-Wiki und das Buecherei-Wiki werden mit der Software CoMaWiki und die anderen drei Wikis mit MediaWiki betrieben. Obgleich beide Wiki-Engines Usability-Probleme haben, halte ich MediaWiki für die beste Wahl für allgemeine, offene Wikis: die Software wird auch in Wikipedia eingesetzt und der technische Umgang mit Wikipedia sollte zumindest rudimentär zur Grundkenntnis eines jeden Informationsspezialisten gehören (wer noch nie etwas in Wikipedia geändert hat, suche sich bei Gelegenheit einen Artikel mit Fehler oder Lücke und nehme eine kleine Korrektur vor oder hinterlasse eine Nachricht auf der Diskussionsseite des Artikels. Vom Neuanlegen von Artikeln ohne vorherige Einarbeitung muss ich aufgrund des rauhen Umgangstons dagegen leider eher abraten).
Zum Betrieb eines Wikis gehört die regelmäßige Aktualisierung der MediaWiki-Installation, damit die in Wikipedia möglichen Bearbeitungsfunktionen zur Verfügung stehen. Ebenso ist eine inhaltliche Administration notwendig, um neuen Benutzern unter die Arme zu greifen, Spam zu entfernen und im Wiki aufzuräumen – denn die Tendenz zur Vermüllung ist allen Wikis inhärent. Es sollte deshalb überlegt werden, bei welchen LIS/BID-Wikis eine dauerhafte Administration gewährleistet werden kann. Denkbar wäre zum Beispiel der Betrieb durch einen Bibliotheksverband; da sich deutsche Bibliotheksverbände in der Vergangenheit jedoch weder durch technische Kompetenz und Innovationsfreudigkeit noch durch politisches Verantwortungsbewußtsein sondern eher durch Schnarchnasigkeit hervorgetan haben, vertraue ich lieber einer NGO wie der Wikimedia Foundation.
Neben der Administration ist ein weiterer Punkt, der bei offenen Wikis häufig vernachachlässigt wird, die inhaltliche Ausrichtung: Oft wird davon gesprochen, wie bei Wikipedia „eine Enzyklopädie“ oder „ein Nachschlagewerk“ zu erstellen, was ebenso oft Quatsch ist. Die Wiki-basierte Erstellung von enzyklopädischen Artikeln macht außerhalb der Wikipedia nur dann Sinn, wenn es sich um Themen handelt, die für Wikipedia zu speziell sind oder den Charakter einer Enzyklopädie sprengen (siehe Was Wikipedia nicht ist). Beispiele für Fachwikis sind unter Anderem das Genderwiki und diverse Stadt- und Regionalwikis. Im BIT-Wiki gibt es unter Anderem ein Herstellerverzeichnis, im NetbibWiki diverse Linksammlungen und im GBV-Wiki technische Beschreibungen. Leider werde in Wikis jedoch oft auch allgemeine Definitions-Artikel angelegt, die besser in Wikipedia aufgehoben werden (z.B. vor einigen Tagen Eugene Garfield im InfoWissWiki). Ich vermute als einen Grund, dass die Autoren sich nicht den Wikipedia-Gepflogenheiten unterwerfen wollen; das ist einerseits verständlich, da die Einarbeitung in Wikipedia-Qualitätsrichtlinien Zeit erfordert und der Umgang mit der Wikipedia-Community nicht unproblematisch ist. Andererseits bietet die Arbeit im selbstverwalteten Refugium eine bequeme Ausrede, sich keinen Qualitätsstandards zu unterwerfen und andere Themenbereiche, Sichtweisen und Quellen nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen. Wie beim Schreiben für eine Fachzeitschrift muss sich, wer in Wikipedia mitarbeiten möchte, mit speziellen Richtlinien und Empfehlungen vertraut machen und mit den anderen Beteiligten koordinieren – was im Endeffekt aber zu besseren Artikeln führt.
Die deutschsprachige BID/LIS-Wiki führen in ihrer Verstreutheit dagegen eher ein Schattendasein: Anstatt sich wenigstens auf ein allgemeines, offenes Fachwiki zu einigen werkelt jeder vor sich hin. Zwischen all den Artikelleichen, die irgendwann angelegt und dann nie wieder angefasst wurden, gibt es einige sehr hilfreiche Informationssammlungen, aber wenig Struktur – dafür dass sich Informations- und Bibliotheksspezialisten mit der Erschließung von Informationen auskennen sollten, ist das eigentlich ziemlich peinlich.
Vielleicht bin ich mal wieder etwas zu naiv was die sozialen Abgrenzungs- und Widerstandsprozesse betrifft, aber es sollte doch möglich sein, zumindests die allgemeinen, offenene, deutschsprachigen BID/LIS-Wiki (mindestens Netbib-Wiki, InfoWissWiki und BIT-Wiki) zusammenzuführen, um gemeinsam die kritische Masse für eine dauerhafte Community zu erreichen. Einzelne Projekte und Bereiche wie das sehr zu empfehlende Zukunftswerkstatt-Wiki, das Buecherei-Wiki und ein bislang nur angedachtes FaMI-Wiki können dabei ebenfalls integriert werden, während allgemeine Definitionsartikel sich besser auf ein Minimum beschränken und dann auf Wikipedia weiterverweisen.
Neueste Kommentare