Review in Wikipedia mit markierten Versionen
2. April 2008 um 01:20 4 KommentareDie als „stabile Versionen“ diskutierte Erweiterung von Wikipedia um ein System zur Begutachtung nähert sich mühsam aber sicher ihrer Vollendung (siehe Ankündigung im Wikimedia-Deutschland-Blog und Beitrag von Tim). Zur Zeit kann die neue Funktion in einem Testwiki ausprobiert werden. Konstruktive Bugreports, Vandalismus-Tests und vor allem Hilfe bei der Verbesserung der Usability (!) sind gerne willkommen. Danach wird das System – möglichst noch diesen Monat – zunächst in der deutschsprachigen Wikipedia probeweise eingeschaltet. Und darum geht es:
Mit der neuen Funktion „markierte Versionen“ können einzelne Versionen eines Artikels markiert werden. Die Markierung als gesichtet zeigt an, dass kein Vandalismus vorhanden ist. Wenn zusätzlich jeweils zuerst die letzte gesichtete Version eines Artikels angezeigt wird, sollten offensichtlicher Blödsinn und Quatscheinträge in Wikipedia merklich abnehmen – allerdings ist es für Neuautoren möglicherweise abschreckend, wenn ihre Verbesserungen nicht sofort sichtbar sind.
Die Markierung als geprüft geht über eine gesichte Version hinaus: Sie stellt ein Qualitätsurteil eines fachkundigen Prüfers dar. Ein Prüfer gibt mit der Markierung als geprüft bekannt, dass die betreffende Artikelversion keine falschen Aussagen oder verfälschende Lücken enthält. Damit nähert sich Wikipedia dem traditionellen Review-System in den Wissenschaften an. Genauer gesagt handelt es sich um ein Offenes Peer-Review-Verfahren. Bisherige Peer-Review-Verfahren stoßen immer mehr an ihre Grenzen – zur Ãœberwindung dieser Krise könnten Wikis helfen.
Was ich besonders bemerkenswert finde: Im Unterschied zu den bereits jetzt in Wikipedia vorhandenen Review-Verfahren (lesenswerte Artikel, exzellente Artikel) treten bei der Prüfung von einzelnen Artikelversionen nicht das Kollektiv der „Wikipedianer“ in Erscheinung, sondern einzelne Personen. Wenn jemand einen Artikel prüft, muss er mit seiner vollen Reputation dafür geradestehen, dass keine Fehler übersehen wurden. Bei Wikipedia-Autoren ist das in geringerem Maße zwar auch schon der Fall; für Außenstehende ist jedoch in der Regel undurchschaubar, was ein Autor zu einem konkreten Wikipedia-Artikel geleistet hat.
Ich befürchte nur, dass den meisten Lesern aufgrund fehlender Informationskompetenz sowieso egal ist, wer für welche Inhalte in Wikipedia verantwortlich ist (nämlich die konkreten Autoren und Prüfer und nicht ein anonymes Kollektiv oder ein Herausgeber!). Die meisten Menschen wollen nämlich beim Erwerb von „Wissen“ nicht selber denken, sondern einer Autorität vertrauen, die sagt, was richtig und was falsch ist. Das ist dann aber nicht das Problem der Wikipedia sondern ein Problem der Massenverdummung unserer Gesellschaft und ihren Teilnehmern, die lieber in selbstverschuldeter Unmündigkeit verharren, anstatt eigenes Urteilsvermögen zu gebrauchen.
Ich bin gespannt, wie sich die markierten Versionen in der Praxis entwickeln werden und wie sich die offen-anarchische Wikipedia-Community und das elitär-akademische Wissenschaftssystem weiter aufeinander zubewegen – im Guten wie im Schlechten.
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