LibraryThing doppelt so populär wie WorldCat
4. Oktober 2009 um 01:50 5 KommentareAls Mitte dieses Jahrzehnts Wikipedia immer populärer wurde, verfolgten die Wikipedianer das exponentielle Wachstum gespannt anhand der Zugriffsstatistiken der am häufigsten aufgerufenen Webseiten. Inzwischen liegt die freie, kollaborative Enzyklopädie laut Alexa.com nach Google, Facebook, Yahoo, YouTube und Windows Live auf Platz 6: 10% aller Internetnutzer eines Tages rufen mindestens einmal Wikipedia auf und verbringen dort durchschnittlich 5 Minuten. Einen ähnliche Analyse hat sich Tim Spalding für seine kollaborative Bibliographie und Literaturplattform LibraryThing angesehen und herausgefunden, dass LibraryThing fast doppelt so viel Traffic wie WorldCat hat. Die Zahlen stammen von compete.com; bei Alexa sehen die Zugriffszahlen ebenso aus – und LibraryThing wächst deutlich schneller als WorldCat. Genaugenommen könnten die Zahlen von LibraryThing noch etwas höher sein, da Aufrufe von anderen Domains als librarything.com, beispielsweise librarything.de nicht direkt mitgezählt werden. Was bedeutet das für Bibliotheken?
Als ich Wikipedia vor dreieinhalb Jahren auf dem Bibliothekartag vorstellte [PDF], war die Seite noch auf Platz 18 und wurde damit schon vermutlich mehr besucht als alle Bibliothekswebseiten zusammen – LibraryThing war damals gerade ein halbes Jahr alt. Der Vergleich von Wikipedia mit Bibliothekswebseiten war natürlich unangemessen und sollte nur verdeutlichen, warum sich Bibliotheken mit Wikipedia auseinandersetzen sollten. Wikipedia ist inzwischen auch für Bibliothekare eine ernstzunehmende Institution (wobei die Zusammenarbeit mit der Deutschen Nationalbibliothek im obrigkeitshörigen Bibliothekswesen wahrscheinlich mehr wiegt als alle Nutzerinteressen) – wie sieht es mit LibraryThing aus?
Während groß und breit diskutiert wird, ob und wie deutsche Bibliothekskataloge in WorldCat eingebunden werden können, warte ich mitlerweile seit Jahren darauf, dass Bibliotheken ernsthaftes Interesse and LibraryThing zeigen und als Partner wahrnehmen. Liegt es daran, dass die Mitarbeiter von LibraryThing noch genügend Zeit und Spaß dafür haben, das Benutzerinterface in Piratensprache zu übersetzen? Oder dass Belletristik den Hauptbestand in LibraryThing ausmacht? Oder dass die Suchfunktion von LibraryThing das einzige ist das fast noch schlechter ist als in herkömmlichen OPACs? (Hintergrund: LibraryThing setzt mehr auf Browsing statt daneben die Suche auszubauen und herkömmliche OPACs verwenden Boolesches Retrieval statt Vektorraum-Suche).
Ich denke, dass Bibliotheken zum einen institutionell träger sind als ein kleines Startup, dass nicht dauernd Fördergelder für befristete Stellen beantragen muss, aber zum anderen auch träger in der Wahrnehmung der stattfindenden Digitalen Revolution. Statt zu schauen, was Wikipedia und LibraryThing erfolgreich macht und wo mit ihnen kooperiert werden kann, wird neidisch auf andere Bibliotheken geguckt und einem verblassendem Bild der Bibliothek als Wissenshort nachgehangen. Dabei wird in Zukunft weder die Katalogisierung noch der eigene Bestand die Relevanz einer Bibliothek ausmachen. Katalogisieren können sowieso besser die Nutzer (wenn man ihnen die richtigen Werkzeuge in die Hand gibt) und der „eigene“ Bestand erübrigt sich durch Digitalisierung und bessere Lesegeräte. Was bleibt ist die Fokusierung auf den Nutzer – und das haben sowohl Wikipedia als auch LibraryThing von Anfang an verinnerlicht .
5 Comments »
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Sehr schöner Beitrag, den ich gerade auf dem Weg zur Arbeit gelesen habe. Solange eine Fokussierung auf den Nutzer keinen realen Mehrwert für die Bibliotheken bringt, ist nicht zu erwarten, dass das Schlamassel von unbedienbaren Onlinekatalogen, schwer durchschaubaren Webseiten sowie die Abkürzungsschwemme (OPAC, GUK, GVK-PLUS) ein Ende nimmt.
Comment by Frank Schulenburg — 5. Oktober 2009 #
[…] LibraryThing doppelt so populär wie WorldCat « Jakoblog — Das Weblog von Jakob Voß Während groß und breit diskutiert wird, ob und wie deutsche Bibliothekskataloge in WorldCat eingebunden werden können, warte ich mitlerweile seit Jahren darauf, dass Bibliotheken ernsthaftes Interesse and LibraryThing zeigen und als Partner wahrnehmen. Liegt es daran, dass die Mitarbeiter von LibraryThing noch genügend Zeit und Spaß dafür haben, das Benutzerinterface in Piratensprache zu übersetzen? Oder dass Belletristik den Hauptbestand in LibraryThing ausmacht? Oder dass die Suchfunktion von LibraryThing das einzige ist das fast noch schlechter ist als in herkömmlichen OPACs? (Hintergrund: LibraryThing setzt mehr auf Browsing statt daneben die Suche auszubauen und herkömmliche OPACs verwenden Boolesches Retrieval statt Vektorraum-Suche). (tags: librarything katalog wordcat 2009 10/2009 jakoblog jakob_voß bibliothekszukunft wikipedia) […]
Pingback by links for 2009-10-05 : Bibliothekarisch.de — 6. Oktober 2009 #
Ich bin ganz der Meinung von „Frank Schulenburg“.
Vielleicht wäre es gut eine Onlinedatenbank zu Abkürzungen anzulegen, damit man mal nachschauen kann…
Comment by Emule — 6. Oktober 2009 #
Wir nutzen LT wohl als einzige OEB seit Okt 2005 (!) konsequent, in dem wir alle Neuzugänge im Erwachsenenbestand dort zusätzlich einstellen (inzwischen über 4000!). LT ist für uns inzwischen ein wichtiges Werkzeug beim Bestandsaufbau (wie verkaufen sich die Titel in den USA etc? Serienabdeckung…), das auch von etlichen Kunden dankbar genutzt wird. Wir hätten mehr davon, wenn wir nicht die einzigen wären, die diese Plattform nutzen…(analog der erste Besitzer eines Faxgerätes) jd
Comment by Jochen Dudeck — 10. Oktober 2009 #
Die Aussage, dass die Nutzer besser katalogisieren können würde ich stark bezweifeln. Schon bei der Namensansetzung würden sie viele Fehler reinhauen und ich meine nicht nur Tippfehler.
Auch Studien bezüglich social tagging zeigen, dass die Nutzer für ihre eigenen egoistischen Zwecke taggen, so kann die Social Community mit dem tag „to read“ nichts anfangen, ganz zu schweigen von „geil“ oder „super“.
Und dass wir Bibliotheken nicht auf den Nutzer fokussiert sind stimmt vielleicht für das Backoffice aber nicht für die Information und Ausleihe die im realen Dialog mit den NutzerInnen sind und nicht virtuell.
Comment by Joachim Michel — 10. Oktober 2009 #